Chamäleon

Seit einigen Wochen schon ist der Supermarkt in der Griesheimer Innenstadt geschlossen. Es steht ein Wandel an. In absehbarer Zeit wird das flache Marktgebäude abgebrochen werden um Platz zu machen für das sogenannte Innenstadtprojekt. Ein mehrgeschossiger Komplex aus Wohn- und Geschäftshäusern wird dann errichtet. Diese Baumaßnahme wird der vorläufige Endpunkt einer Reihe von Veränderungen sein, die das Grundstück in den letzten eineinhalb Jahrhunderten erlebt hat.

Das Eckgrundstück Wilhelm-Leuschner-Straße / Friedrich-Ebert-Straße liegt nicht im historischen Ortskern von Griesheim. Erst im Zuge der Anlage der Chaussee erweiterte sich die Bebauung stetig nach Osten. Die Südseite des heutigen Georg-Schüler-Platzes wurde erst in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts bebaut. Charakteristisch für die erste Bebauung waren eingeschossige, traufständige Häuser, oft mit Fassaden aus Sichtmauerwerk. Neben Wohnhäusern entstanden einzelne Geschäfte und Gastwirtschaften, oft mit separatem Saalbau. Insofern bildete das Eckgrundstück keine Ausnahme.

Diese Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlichte Postkarte zeigt die erste Bebauung des Eckgrundstückes. Ein relativ kleines, traufständiges Gebäude mit einem Vollgeschoss lag an der Ecke zur Friedrich-Eberst-Straße. An der Chaussee befand sich der zugehörige Saalbau. Verbunden wurden beide Bauten durch einen ebenfalls eingeschossigen Portalbau, desser Haupteingang mit Pilastern und einem Dreiecksgiebel verziert war. Möglicherweise war dieses Bauteil zu Beginn nicht vorhanden. Die Gaststätte trug den Namen „Altdeutsche Trinkhalle“. Rückwärtig lag ein Biergarten. Bildquelle: Stadtarchiv Griesheim

Mit dem sich immer mehr beschleunigenden Wachstum Griesheims setzte noch vor dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) eine Verdichtung der schon bebauten Grundstücke ein. Zusätzliche Nebengebäude entstanden oder es wurden Obergeschosse angefügt. Das Eckgrundstück machte hier keine Ausnahme.

Die nun als „Restauration Franz Krauße“ bezeichnte Gaststätte erhielt (wohl zu Beginn des 20. Jahrhunderts) ein zusätzliches Obergeschoss auf dem Portalbau. Der Dreiecksgiebel über der Tür wurde durch eine Leuchtreklame verdeckt, die auf die Einrichtung von Lichtspielen (also einem Kino) im Saal hinwies. Bildquelle: Stadtarchiv Griesheim

Spätestens nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich der allgemeine Architekturgeschmack. Moderne Strömungen, die ihren Ausdruck zum Beispiel im Bauhaus und in der klassischen Moderne fanden, lehnten Ornamente weitgehend ab. Gebäude wurden hell verputzt. Auch konservativere Architekten verabschiedeten sich vom Historismus, bauten schlichte, aber an klassischen Formen orientierte Gebäude. In Griesheim fanden beide Richtungen ihren Niederschlag.

In den 1930er Jahren hatte der Gebäudekomplex einen weiteren Umbau hinter sich. Das Hauptgebäude hatte ein Obergeschoss erhalten und wurde mit dem Portalbau unter einem gemeinsamen Walmdach zusammengefasst. Der Haupteingang wurde schlichter gestaltet. Im Erdgeschoss des Hauptbaus wurden die Fenster neu angeordnet und mit klassichen Sprossenfenstern versehen. Die Fensteröffnungen des Saals wurden verkleinert und teilweise mit (Film?-)Werbung verschlossen. Der Gesamte Komplex wurde verputzt. Die Gastwirtschaft hieß nun „Gasthaus zur Traube“. Bildquelle: Stadtarchiv Griesheim

Die Naziherrschaft und der Zweite Weltkrieg (1939-1945) brachten auch in Griesheim Leid und Zerstörung. Bei Luftangriffen auf den Ort wurden zahlreiche Gebäude vernichtet oder stark beschädigt. Auch der Bereich um den Georg-Schüler-Platz war davon betroffen.

1948 wurde u.a. das 60-jährige Bestehen des Obst- und Gartenbauvereins in Griesheim gefeiert. Dabei wurde ein Festumzug veranstaltet, der auch über die Chaussee führte. Auf dem Bild ist rechts die „Anlage“ zu erkennen. Links sieht man die kriegszerstörte Ruine des Gasthauses zur Traube. Vorhanden ist nur noch eine Außenwand des Saalbaus. Bildquelle: Stadtarchiv Griesheim

Schon direkt nach Kriegsende setzte in Griesheim der Wiederaufbau ein, zunächst natürlich mit bescheidenen Mitteln. Beschädigte Gebäude wurde oft in einfacherer Form repariert oder neu errichtet.

Um 1950 wurde der Saalbau unter Verwendung der stehen gebliebenen straßenseitigen Fassade neu errichtet. Das mehrgeschossige Hauptgebäude wurde nicht mehr wieder aufgebaut. Bildquelle: Stadtarchiv Griesheim
Die nun wieder als „Gaststätte Krause“ bezeichnete Restauration fand im rückwärtigen Bereich des Saalbaus seinen Platz, auch der Biergarten wurde weiter genutzt. Im Saal war eines der beiden Griesheimer Kinos untergebracht („Germania“). Auf der Straßenecke zur Friedrich-Ebert-Straße lag ein verglaster Anbau, an dem und in dem für ein Geschäft im nahen Darmstadt geworben wurde. Bildquelle: Stadtarchiv Griesheim

Der Aufschwung der 1950er und 1960er Jahre und die veränderten Lebensgewohnheiten veränderten naturgemäß auch das Stadtbild Griesheims. Wie überall in der Republik verschwanden kleine Kinos und alte Gaststätten.

In den 1970er Jahren wurden das Kino und die Gaststätte abgebrochen und durch einen schlichten Flachbau ersetzt, der nun jahrzehntelang einen Supermarkt beherbergte. Bildquelle: Stadtarchiv Griesheim

Schon um die Jahrtausendwende gab es in Griesheim Diskussionen um die Weiterentwicklung der Innenstadt im Bereich südlich des Georg-Schüler-Platzes. Der in den 1990er Jahren entstandene Neubau der Sparkasse hatte in Gestalt und Größe eine neue, städtische Dimension an diesen Ort gebracht. Die Stadt Griesheim erwarb die drei benachbarten einfachen Wohnhäuser, um zusammen mit dem in privater Hand befindlichen Supermarkt neuen Entwicklungen Möglichkeiten zu geben. Fehlende Stellplätze, eine zu geringe Ladenfläche und kleine Betriebsflächen führten dazu, dass die Zukunft des Marktes zunehmend in Frage zu stellen.

Nach jahrelanger Diskussion, Vorbereitung und Planung wurde schließlich eine Lösung gefunden, bei der ein privater Investor den Supermarkt und die angrenzenden Wohnhäuser übernimmt, abbricht und durch mehrgeschossige Gebäude mit Wohnungen und einem vergrößerten Supermarkt ersetzt. Informationen zu diesem Projekt finden Sie hier.

3 Gedanken zu „Chamäleon“

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