In diesen Tagen wird der Zwiebelmarkt aufgebaut, das große Stadtfest von Griesheim, das jeden September rund um und vor allem auf dem Georg-Schüler-Platz gefeiert wird. Während des Marktes reihen sich hier dicht an dicht die Buden und Zelte und die Menschen schieben einander durch das enge Gedränge. Im Rest des Jahres führt dieser Platz, obwohl mitten in der Stadt gelegen, dagegen ein beschauliches Dasein als etwas lieblos gestaltete Grünanlage ohne wirkliche Funktion. Diese Wirkung mag in der Herkunft des Platzes begründet sein. Er wurde nämlich nicht mit Absicht im Rahmen einer städtebaulichen Planung angelegt, sondern er ist eher durch Zufall entstanden.
Als man im Jahre 1886 die Kleinbahn von Darmstadt nach Griesheim erbaute, verlegte man die Gleise am nördlichen Straßenrand der schnurgeraden Chaussee, die einige Jahrzehnte zuvor angelegt wurde. Im Gegensatz zum östlichen Ende der Strecke, das mitten in die Darmstädter Innenstadt hineingebaut wurde und direkt am Schloss lag, scheute man sich im Westen, in Griesheim, vor dem Bau durch den Ort. Die Trasse endete daher noch vor dem damaligen östlichen Rand von Griesheim, in Höhe der heutigen Hofmannstraße.
Hier erwarb die Betreibergesellschaft der Dampfbahn einige Flächen neben der Chaussee und legte dort einen kleinen Bahnhof an. Neben einem ziemlich provisorisch wirkenden Empfangsgebäude aus Fachwerk und Klinkersteinen, einem Locomotivschuppen und einer Kohlenbühne lagen dort einige Abstell- und Umsetzgleise. Das Titelbild (Quelle: Stadtarchiv Griesheim) von 1895 zeigt einen Zug vor dem Stationsgebäude.
1912 gelangte die Dampfbahn an die Hessische Eisenbahngesellschaft (HEAG) , in der die zuvor von der SEG (Süddeutsche Eisenbahngesellschaft) betriebenen Überlandlinien nach Arheilgen, Eberstadt und Griesheim mit der städtischen Straßenbahn von Darmstadt zusammengefasst wurden. Die HEAG plante die Elektrifizierung der Bahnlinie, was allerdings durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges (1914-1918) verhindert wurde.
Nachdem die Bahnlinie 1922 aus wirtschaftlichen Gründen während der Wirtschaftskrisen nach dem Krieg stillgelegt werden musste, wurde die Elektrifizierung 1926 nachgeholt.
Dabei wurde die Bahn nach Westen verlängert (mehr Infos dazu s. hier und hier) und mit der Wagenhalle wurde ein neues, moderneres Straßenbahndepot errichtet und ebenfalls noch in den 1920er Jahren in Betrieb genommen. Der Dampfbahnhof wurde damit überflüssig. Ein Abbruch erfolgte kurz nach Inbetriebnahme der Straßenbahn.
Damit stellte sich die Frage, wie man mit der freigewordenen Fläche umgehen sollte. Eine Bebauung wäre schwierig zu realisieren gewesen, da sowohl auf der Südseite des Geländes, als vor allem auch auf der Nordseite des Bahnhofes private Häuser und die Friedrich-Ebert-Schule errichtet worden waren. Lag der Bahnhof zu Beginn der Dampfbahnzeit noch außerhalb des Ortes, war Griesheim nun kräftig gewachsen und reichte 1926 bis zur Wagenhalle. Man legte daher eine kleine Grünanlage an.
Die anfänglich recht einfache Fassung mit einer großen Wiese, einer umlaufenden Hecke und einigen Bäumen wurde schon nach kurzem um einige Sitzecken, Blumenrabatten und Büsche erweitert.
Obwohl sich am Platz keinerlei Geschäfte befanden – nur an der Südseite lagen zwei Gaststätten – wurde die Anlage recht bald zur Mitte des Ortes. Feste wurden hier gefeiert, Umzüge liefen hier entlang. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten erhielt sie einen neuen Namen: Horst-Wessel-Platz (Mehr Infos zu Straßenumbenennungen im Dritten Reich siehe hier). Im Zweiten Weltkrieg wurden einige Bauten am Platz, vor allem an der Südostecke (heute Edeka und kath. Kirche) zerstört.
Nach dem Krieg behielt der Platz, nun als Georg-Schüler-Anlage bezeichnet, seine zentrale Funktion bei. Der Name erinnert an den Bürgermeister Georg-Schüler, der von 1920 bis 1929 im Amt war und in dessen Amtszeit der Platz angelegt wurde. Er vermittelte nun städtebaulich zwischen den Geschäften im älteren Teil (zwischen Hofmannstraße und Hintergasse) sowie der neu entstandenen Stadtmitte zwischen Rathaus, Post und katholischer Kirche. Geschäfte gab es hier weiterhin kaum, aber die Grünanlage war zunächst deutlich abwechslungsreicher gestaltet als heute.
Noch bevor der heutige Marktplatz angelegt wurde, etablierte sich in Griesheim ein Wochenmarkt. Er fand zu Beginn am Ostende des Schülerplatzes statt, womit sich diese Stelle auch in die Geschichte der Griesheimer Marktplätze einreiht.
Glanzvolle Zeiten hat der Schülerplatz nie wirklich erlebt. Fertig und zu Ende gedacht war er gestalterisch und funktional nie. Alte Aufnahmen vermitteln allerdings (s. oben) den Eindruck, der Aufenthalt auf dem Platz hätte früher mehr Spaß gemacht. Es wird daher auch in absehbarer Zukunft zu entscheiden sein, wie sich der Platz weiterentwickeln soll. Mit dem Neubau im Bereich des jetzigen Edeka-Supermarktes wird zumindest die Südseite des Platzes weiter in die Innenstadt einbezogen werden. Ob der Bau einer Gracht mit einem Schiffsmuseum das richtige ist, wie hier am 1. April 2017 in diesem Blog zu lesen war, darf natürlich bezweifelt werden.
Vielleicht kann ein Blick über den Tellerrand weiterhelfen. Im südlichen Bayern und in Teilen von Österreich bilden ziemlich langgestreckte Stadtplätze das Herz von so mancher Kleinstadt. Hier lohnt es sich anzuschauen, wie solche Plätze funktionieren. Allerdings ist natürlich nicht alles gut, was aus Österreich kommt. Erfolgversprechend ist deshalb die Durchführung von städtebaulichen Wettbewerben und das Sammeln von Ideen, um zu einem guten Ergebnis zu kommen. Von daher ist es zu begrüßen, dass sich in dieser Hinsicht etwas zu tun scheint.
2 Gedanken zu „Kleinbahnhof wird Grünanlage“
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