
Gotische Kathedralen und Rittersäle mit gotischen Gewölben wird man in Griesheim natürlich erfolglos suchen. Überhaupt hat die mittelalterliche Baukunst kaum Spuren hinterlassen. Ein bißchen Gotik gibt es aber doch.

Die Lutherkirche in der heutigen Form wurde 1681 erbaut, der Chorbereich erst 1749. In dieser Zeit herrschte der Barock als Baustil vor, in Südhessen allerdings nicht in der prachtvollen Variante wie sie z.B. im südlichen Bayern zu bewundern ist, sondern in einer deutlich schlichteren Form – protestantisch halt und nicht katholisch. Allerdings haben sich in die barocken Formen auch immer Zitate aus der Gotik hineingemogelt. Wahrscheinlich hat man schon damals den gotischen Stil mit seinen spitzbogigen Fenstern als den Stil empfunden, der symbolisch für den Kirchenbau steht. Noch heute zeichnet jedes Kind eine Kirche mit den typischen Fenstern.
Ein gutes Beipiel dafür ist auch die Kirche St. Mariä Himmelfahrt in Köln (Danke an S.E. für diesen Hinweis). Die Kirche wurde ab 1618 vom Jesuitenorden als Neubau errichtet. Von daher ist es zunächst ungewöhnlich, daß der Bau zahlreiche gotische Zitate (und auch einige romanische) beinhaltet. Man mußte ja keine Rücksicht auf einen schon vorhandenen Bau nehmen, und finanzielle Sorgen sollte der wohlhabende Bauherr nicht gehabt haben. Vielmehr muß es eine bewußte Entscheidung gewesen sein, eben nicht einen durch und durch „modernen“ barocken Bau zu errichten, sondern sich mit den altertümlichen Zitaten gewissermaßen rückzuverankern.
In Griesheim wird die Lage im 17. Jahrhundert eine etwas andere gewesen sein. Die Gemeinde war damals nicht wohlhabend, kaum jemand hatte den 30jährigen Krieg in der ersten Hälfte des Jahrhunderts überlebt, aber die in Teilen noch mittelalterliche Dorfkirche, die heutige Lutherkirche, war aber schon seit längerer Zeit baufällig. Um einen Neubau kam man nicht herum. Wahrscheinlich nicht nur aus den oben genannten Gründen wurden daher einige Architekturbauteile aus der alten Kirche aufgehoben und in den Neubau von 1681 integriert. Es ging dabei um wertvolle Formteile, wie Fenster- und Türgewände, die eben nicht aus Bruchstein hergestellt waren, wie die Außenwände, sondern um aufwendige Steinmetzarbeiten aus besonderen Materialien wie Sandstein, die in einer steinlosen Landschaft wie in Griesheim noch schwieriger zu beschaffen waren und damit sehr teuer waren – von der Bezahlung der Künstler ganz zu schweigen.

So können wir an der Lutherkirche heute noch je eine gotische Türeinfassungen an der West- und an der Südfassade bewundern. Dort gibt es auch einige spitzbogige Fenster. Der Höhepunkt ist jedoch auf der Nordseite der Kirche, etwas versteckt, neben der Sakristei zu sehen. Dort hat eine gotische Fenstereinfassung seinen Platz gefunden, die sogar noch das Maßwerk zur inneren Unterteilung des Fensters bewahrt hat.
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