Auch in Griesheim

Heute vor 81 Jahren fand in ganz Deutschland ein Pogrom gegen jüdische Mitbürger und jüdische Einrichtungen statt. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden mindestens 800 Menschen ermordet, jüdische Gotteshäuser beschädigt oder ganz zerstört, Läden und Gebäude verwüstet, Friedhöfe geschändet. Am nächsten Tag begannen die Nationalsozialisten und ihre zahlreichen Unterstützer und Mitläufer, zehntausende Menschen in Konzentrationslager zu deportieren. Diese Geschehnisse fanden nicht nur irgendwo in der Ferne statt. Sie fanden im ganzen Land, in fast allen Orten statt. Auch in Griesheim.

Denn auch hier wurde die Synagoge in der sogenannten Reichspogromnacht gestürmt und verwüstet. Kultgegenstände wurden verbrannt. Begonnen wurden die Ausschreitungen von Mitgliedern der SA, deren Brigaden entsprechende Order bekommen hatten. Es beteiligten sich an der Schändung des Gotteshauses aber schließlich auch zahlreiche Griesheimer unter Beteiligung des damaligen Bürgermeisters. Anschließend zog die Menge weiter und plünderte das jüdische Kaufhaus Loeb in der Groß-Gerauer-Straße. Das Diebesgut dort wurde schließlich sogar mit PKWs abtransportiert.

Dass die Synagoge nicht auch noch in Brand gesteckt wurde, wie es der SA eigentlich befohlen war, lag an den baulichen Umständen des Gebäudes. Sie befand sich in einem dicht bebauten Teil des alten Griesheims und hatte nur wenig Abstand zu den Nachbarhäusern. Ein Brand der Synagoge wäre nur schwer zu kontrollieren gewesen und hätte sehr wahrscheinlich auf weitere Gebäude übergegriffen, die dort zumeist ganz oder in Teilen aus Holz konstruiert waren.

Blick in die Hintergasse zwischen 1933 und 1938. Der Blick geht nach Osten. In der Bildmitte ist die Griesheimer Synagoge zu erkennen (mit Pfeil markiert). Bildquelle: Stadtarchiv Griesheim

Die Griesheimer Synagoge lag in der Hintergasse. Sie hatte ursprünglich die Hausnummer 11, später wurden das Nummerierungssystem verändert, sodass das Gotteshaus zuletzt die Adresse Hintergasse 8 hatte. Im Gegensatz zu vielen anderen Synagogen vor allem in den größeren Städten war sie nicht schon von außen als Gotteshaus erkennbar. Die Griesheimer Gemeinde war immer recht klein und konnte sich keinen besonderen Sakralraum leisten. Wie viele andere Landgemeinden auch, nutzte man seit 1812 ein einfaches Wohnhaus als Ort für die Gottesdienste, als religiöse Schule und  auch weiterhin als Wohnhaus.

Zuvor war ein ebenfalls baulich recht einfaches Gebäude von der jüdischen Gemeinde genutzt worden, dass sich im Bereich des alten Rathauses befand.

Das Synagogengebäude in der Hintergasse stand nach der Schändung noch bis 1944, als es mit zahlreichen anderen Nachbarhäusern durch einen Fliegerangriff zerstört wurde. Der Neuaufbau des Stadtbereiches nach dem Krieg veränderte die Hintergasse stark. Die ehemals eng bebauten Altstadtgasse präsentiert sich heute ganz anders. Eine Lokalisierung des Standortes des Gebäudes fällt daher schwer. Der folgende Plan soll das etwas erleichtern:

Lageplan der Hintergasse in Griesheim. Schwarz und grau sind die heutigen Baublöcke dargestellt, rot die Bebauung vor 1935. Stärker hervorgehoben ist die Synagoge. Der Kreis westlich davon zeigt des Standort der heutigen Gedenktafel.

Nachdem die Geschichte der Synagoge zunächst etwas in Vergessenheit geraten war (oder geraten sollte) wurde 1984 nahe des ehemaligen Standortes eine Gedenktafel errichtet. Zunächst erwähnte der Text der Tafel nur die Zerstörung des Hauses durch den Bombenangriff 1944. Erst eine spätere Änderung erinnert nun auch an Schändung des Gotteshauses 1938.

Korrekt ist der Text (s. Titelbild) aber immer noch nicht. Der Hinweis „hier stand…“ ist nicht korrekt, da die Synagoge ja einige Meter weiter östlich stand. Und das Gebäude wurde eben neben anonymen „Nationalsozialisten“ auch von Griesheimer Bürgern entweiht. Hier zeigt sich eine Schwierigkeit der Griesheimer Geschichtsschreibung: Die Zeit zwischen 1933 und 1945 ist nicht wirklich gut erforscht, die Frage nach den Tätern ist zum Teil noch offen. Hier wäre es eine dringende Aufgabe, weitere Nachforschungen anzustellen und zu veröffentlichen. Dies ist auch deshalb wichtig, weil wir durch die heute fortschreitende Geschichtsvergessenheit wieder lernen müssen, dass der Weg zur Katastrophe und zum Täterwerden nicht so weit ist, wie man vielleicht denkt.

Die Geschichte der Opfer dagegen ist besser dokumentiert. Letztes Jahr ist dazu das Buch von Heike Jakowski „Jüdische Lebensgeschichten aus Griesheim. 1658-1940“ erschienen, das die jüdische Gemeinde Griesheims und das Schicksal der letzten jüdischen Griesheimer sehr gut beleuchtet (genaue Angaben s. unten).

Leider sind von der Griesheimer Synagoge nur wenige Aufnahmen erhalten geblieben, die das Gebäude in einer langen Reihe von ähnlichen Bauten auf der Südseite der Hintergasse zeigen. Detailaufnahmen oder Aufnahmen des Hofes und der Nebengebäude gibt es wohl nicht. Auch von innen existiert wahrscheinlich keine Aufnahme. Heike Jakowski hat jedoch eine Aufnahme ausfindig gemacht, bei der eine kleine Chance darauf besteht, dass hier das Innere der Griesheimer Synogoge zu sehen ist.


Quellen:

Heike Jakowski: Jüdische Lebensgeschichten aus Griesheim. 1658-1940, Griesheim 2018, ISBN 978-3-947075-13-3

http://www.alemannia-judaica.de/griesheim_da_synagoge.htm, abgerufen am 9.11.2019

6 Gedanken zu „Auch in Griesheim“

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