Das bekannteste Fachwerkhaus Griesheims ist das Nikolosehaus an der Ecke Oberndorferstraße und Schulgasse. Vor einigen Jahren noch wurde es auch als ältestes Fachwerkhaus der Stadt bezeichnet, mittlerweile haben Forschungen ergeben, daß das Fachwerkhaus an der Südwestecke des Jean-Bernard-Platzes etwas älter ist.

Zahlreiche Griesheimer Schüler lernten das Haus in der Heimatkunde kennen. Dies liegt jedoch nicht nur am Alter des Nikolosehauses, das vermutlich in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts erbaut wurde. Es liegt auch an Architektur, die hier ein besonderes Zierfachwerk zeigt. Und es liegt an dem Spruch, der auf einem Balken der Hauptfassade zu lesen steht:
„GROSS REICHTUM LIEBSTER GOTT DAS WOLLSTU MIR NICHT GEBEN
SO BIT ICH LAS MICH AUCH GROS ARMUT NICHT ERLEBEN
ZU WENIG WUENSCH ICH NICHT ICH WUENSCH AUCH NICHT ZUVIEL
WAS DIR MEIN GOTT GEFELT IST MEINES WUNSCHES ZIEL“
Ein schöner Spruch, der viel über das Leben im alten Griesheim verrät. Der Bauherr war wohlhabend genug, sich ein Haus zu leisten und dies mit einem bescheidenen Fassadenschmuck zu versehen. Gleichzeitig war er aber finanziell nicht in der Lage, ein besonders großes oder prächtiges Haus zu errichten.
Ganz ähnlich ging es auch der Gemeinde Griesheim. Sehr fruchtbare Böden in der westlichen Gemarkung sorgten dafür, daß ausreichend Nahrung für eine immer relativ hohe Bevölkerungszahl zur Verfügung stand. So war die Einwohnerzahl in Griesheim für ein „Dorf“ immer recht hoch und übertraf sogar die einiger Städte. So war zum Beispiel die Einwohnerzahl immer höher als die von Groß-Gerau, das hat sich bis heute nicht geändert.
Zum Anderen aber sind die östlichen Teile der Griesheimer Gemarkung aufgrund der trockenen Sandböden wenig fruchtbar, und die westlichen eigentlich reichen Böden wurden durch einen damals hohen Grundwasserstand von Überschwemmungen geplagt. So stießen die Griesheimer immer an Grenzen, so daß das Überleben durch Torfabbau und das Sammeln von Tannensamen gesichert werden mußte. Erst die Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbesserte die Situation. Erst der Übergang zur mobilen Dienstleistungsgesellschaft brachte für Griesheim in jüngerer Zeit Wohlstand.

Das Nikolosehaus steht an der Kreuzung von vier Straßen. Nach Westen führt die Schulgasse, nach Norden die Pfützenstraße, nach Osten die Hintergasse und nach Süden die Oberndorferstraße. Heute dominiert auf der Kreuzung der Verkehr in Ost-West-Richtung, in der Schulgasse und in der Hintergasse, die ein Teil der Bundesstraße 26 sind. Die Gassenbezeichnung deutet es aber schon an: Das war nicht immer so. Ursprünglich bildeten die Pfützenstraße und die Oberndorferstraße die Hauptstraße Griesheims als Teil der Verbindung von der Bergstraße über Groß-Gerau und Mainz. Nach Westen war die Verbindung durch das Feuchtgebiet schwer zu unterhalten, nach Osten bildeten Sanddünen ein natürliches Hindernis. Erst die Schaffung des Großherzogtumes Hessen zu Beginn des 19. Jahrhunderts veränderte das alte Straßennetz. Die Hauptstadt Darmstadt sollte mit dem neu zu Hessen hinzu gekommenen Rheinhessen verbunden werden. Die neue möglichst gerade Straße sollte dazu auf kürzestem Weg nach Oppenheim führen. Dieser Trasse lag Griesheim aber im Weg. Der alte Ort erstreckte sich in Nord-Süd-Richtung und konnte nicht sinnvoll umgangen werden. Also schloß man die neue Straße im Osten an die Hintergasse und im Westen an die Schulgasse an. Beide waren vorher schmale und unbedeutende Gassen. Dies löste einen städtebaulichen Prozess für die beiden Gassen aus, der bis heute nicht abgeschlossen ist. Zunächst wurde die Hintergasse in den 1930er Jahren verbreitert . Außerdem wurde die Hintergasse nach Westen verlängert und nördlich an der Gaststätte „Riedhof“ vorbeigeführt und mit der Schulgasse verbunden. Nach dem Krieg wurde dann die Schulgasse nach Osten verlängert. Dafür wurde ein im Krieg unbeschädigtes Fachwerkhaus gegenüber des Nikolosehauses abgebrochen. Auf der entstandenen Insel entstand eine Tankstelle.
Vor einigen Jahren erwarb die Stadt Griesheim die Tankstelle und den Riedhof. Die Tankstelle wurde abgebrochen, über das weitere städtebauliche Vorgehen wurde bis heute nicht entschieden, noch nicht einmal eingeleitet wurde ein solcher Prozess. Trotzdem brach die Stadt Griesheim im Oktober 2020 den historischen Riedhof in der unmittelbaren Umgebung des Nikolosehauses ab. Durch diese leider ziemlich hirnlose Aktion wurde das Nikolosehaus seiner historischen städtebaulichen Einbindung beraubt und sein Denkmalwert damit deutlich geschwächt. Durch den Bürgermeister wurde dieses städtebauliche Verbrechen unter anderem dadurch begründet, dass das Nikolosehaus „freigestellt“ werden müsse, als ob das Haus seit 400 Jahre nur auf den Abbruch der Umgebung gewartet habe. Leider zeigen scheinargumentative Aussagen wie diese, dass städtebauliche und kulturelle Standards in Griesheim nicht eingehalten werden und der Umgang mit der eigenen Geschichte ebenso wenig zählt, wie eine nachhaltige Entwicklung der Stadt in die Zukunft.
2018-2020 wurde das Nikolosehaus saniert und westlich ein gestalterisch nicht dem Kulturdenkmal angemessener Anbau errichtet, der aber eine sinnvolle Nutzung des Hauses als Wohnhaus erlauben und damit wenigstens den Bestand des Hauses auf Jahre weiter garantieren wird.
…das ist das Haus vom Nikolaus!?