Wirtschaftlich gesehen ist Griesheim heute ziemlich stark auf Darmstadt ausgerichtet. Eine wichtige Rolle spielen natürlich auch der Kern der Rhein-Main-Region mit Frankfurt, Wiesbaden und Mainz, etwas weniger der Rhein-Neckar-Raum mit Mannheim und Heidelberg. Die Rolle des Rheingaus für Griesheim dagegen ist keine wirtschaftliche, sondern eher eine touristische: die schönen Städte mit ihren kulturellen, landschaftlichen und weinbautechnischen Reizen bieten sich für einen Wochenendausflug an.
Im Mittelalter dagegen gab es eine Zeit, in der Griesheim und Teile des Rieds ein wichtiger Bestandteil des Rheingauer Wirtschaftssystems waren.
Die Geschichte dieser besonderen Verbindung beginnt im Jahre 1136 mit der Gründung des Klosters Eberbach in einem kleinen Bachtal etwas nördlich von Eltville im Rheingau. Dieses Kloster war ein Zisterzienserkloster, zeitweise sogar eines der bedeutendsten Klöster dieses Ordens in Deutschland. Der Orden wurde um 1100 begründet. Die Mönche dort strebten nach einer einfachen Lebensweise ohne persönlichen Reichtum, schätzten die Handarbeit und das gemeinsame Gebet ebenso wie das Gebet in Stille, um sich so auf die Suche nach Gott begeben zu können. Sie wollten nicht von Einkünften aus fremder Hände Arbeit leben, sondern sich ausschließlich selbst versorgen.
Dieser bescheidenen Ansatz fand seinen Ausdruck in der Gestaltung der zisterziensischen Klöster: Man legte Wert auf eine einfache Gestaltung und verzichtete größtenteils auf Bauschmuck und wertvolle Ausstattungen, deshalb erhielten die Kirchenbauten auch keine Türme.
Auch bei der Auswahl des Bauplatzes galten die Anforderungen an Bescheidenheit: Die Klöster wurden nicht in den Städten oder in deren Nähe angelegt, sondern man entschied sich bewußt für etwas abseitige Lagen in bisher unbesiedelten Bereichen, die dann durch die Mönche erst urbar gemacht wurden.
Durch den Zwang, an bisher menschenleeren Orten leben zu müssen und sich dort selbst zu versorgen, entwickelten die Zisterzienser ein gewisses Geschick beim Anlegen neuer Felder, der Regulierung und Nutzung von Gewässern und der Weiterentwicklung von Techniken im Bereich Landwirtschaft, Handwerk und Architektur. Die Klöster, die ja eigentlich geistliche Ziele verfolgten, wurden so nicht selten zu einem wirtschaftlichen Motor für bisher unterentwickelte Regionen, in denen sie zum einen selbst zu bedeutenden Wirtschaftsunternehmen wurden, zum anderen aber auch ein Vorbild für andere boten, die von den neuen Techniken, Ideen und Bauwerken profitierten. Vielfach gründete man in der Folge bewußt Klöster, um bisher ungenutzte Landstriche zu entwickeln.
Nicht anders verhielt es sich mit dem Kloster Eberbach. Schon bald nach seiner Gründung spielte es eine zentrale Rolle in der Geschichte des Rheingaus. Um 1200 lebten schon etwa 200 Mönche in dem Kloster. Sie beschränkten ihr Tun nicht nur auf das ehemals verlassene Bachtal um ihr Kloster. Durch Erbschaften und Schenkungen war das Kloster kurz nach der Gründung schon einer der größten Grundbesitzer im Rheingau. Überall rodeten die Mönche Wälder, legten Wege und Felder, aber vor allem Weinberge an, und begannen diese mit neuartigen Methoden zu bewirtschaften.
Dies konnte natürlich nicht alleine vom Mutterkloster aus geschehen. Das lag zum einen daran, dass es nicht nahe genug an den bewirtschafteten Flächen lag. Zum anderen aber waren natürlich für die zahlreichen Baumaßnahmen und die Arbeiten auf dem Feld und in den Weinbergen die Mitarbeit unzähliger Laien nötig, die das geistliche Leben im Kloster nicht allzusehr stören sollten. Deshalb legte das Kloster Eberbach, so wie viele andere Zisterzienserklöster auch, sogenannte Grangien an.
Grangien waren Hofanlagen, von denen aus die klösterlichen Besitzungen bewirtschaftet wurden. Eine Verpachtung der Ländereien an Dritte war den Zisterziensern ja untersagt, sie mussten also vor Ort die Bewirtschaftung selbst übernehmen. Das Wort Grangie leitet sich vom lateinischen granum = Korn, Getreide ab. Ursprünglich waren die Grangien wohl einfache Kornspeicher, in denen die Ernte dezentral gesammelt wurde. Mit der Zeit entwickelten sie sich aber zu eigenen Wirtschaftseinheiten, die auch baulich eine überdurchschnittliche Größe erreichten. Wie das Mutterkloster selbst lagen sie abseits der bereits vorhandenen Dörfer und Städte in bisher nicht besiedelten Bereichen. Einem heutigen Aussiedlerhof nicht ganz unähnlich bestanden sie aus zahlreichen Wirtschafts- und Wohngebäuden, die sich nicht selten um einen großen Hof gruppierten und durch Zäune und Gräben, Mauern und Tore leicht befestigt waren.
Das Kloster Eberbach war schon 27 Jahre nach seiner Gründung im Besitz von zwölf Grangien, zu denen später noch weitere hinzukamen. Man kann sich vorstellen, dass die Steuerung dieses enormen Wirtschaftsimperiums eine Vielzahl von Personen und Kenntnisse in den Bereichen der Landwirtschaft, des Handels, des Ingenieurbaus und nicht zuletzt auch der Juristerei erforderte. Immer differenzierter mussten die Leitungsfähigkeiten der Mönche sein.
Sie selbst konnten aufgrund ihrer geistlichen Verpflichtungen in den Grangien nicht arbeiten. Statt ihrer übernahmen die Arbeiten die sogenannten Konversen. Dies waren Männer, auch Laienbrüder genannt, die zwar dem geistlichen Stand zugerechnet wurden, aber zunächst normale „Berufe“ in den Wirtschaftshöfen ausübten: Sie waren Bauern, Kaufleute, Fuhrmänner, Krankenpfleger oder Handwerker. Erst in hohem Alter traten die Konversen in das Kloster ein. Daher kommt auch ihr Name: convertere = sich abkehren von den Welt. Die Leitung einer Grangie übernahm der sogenannte Hofmeister. Auch er war ein Konverse.
Die Grangien hatten, abhängig von ihrer Lage, verschiedene Aufgaben im Wirtschaftssystem des Klosters zu erbringen. Viele Grangien im Rheingau dienten natürlich vorwiegend der Weinproduktion. Andere widmeten sich der Viehwirtschaft, die zum einen Nahrungsmittel für die Mönche abwarf, zum anderen aber auch Dünger für die Weinberge.
Einzelne Grangien hatten Spezialaufgaben: So dienten der Draiser Hof und der Reichartshäuser Hof bei Hattenheim als Rheinhafen für das Kloster. Nachdem vorher sumpfige Uferbereich trockengelegt und Fischteiche angelegt wurden, konnten die Mönche nahe der Höfe Anlagestellen für die klostereigenen Schiffstypen Bock, Pinth und Sau errichten. Mit diesen Schiffen wurden die klösterlichen Erzeugnisse, hauptsächlich natürlich Wein, in die großen Städte transportiert. Ein wichtiges Ziel für die Eberbacher Schiffe war Köln, wo das Kloster einen großen Handelshof besaß.
Die Schiffe stellten außerdem die Verbindung zu weiter entfernt liegenden Grangien her. Das Kloster besaß Ländereien nämlich nicht nur im Rheingau, sondern auch im Ried. Diverse Höfe rund um Leeheim, z.B. der Bensheimer Hof zwischen Leeheim und dem Altrhein, waren ursprünglich Grangien dies Klosters. Südlich des Bensheimer Hofes befand sich ein Hafen mit Umschlageinrichtungen für die im Ried hergestellten Produkte. Dabei handelte es sich natürlich nicht um Wein. Obwohl im Mittelalter in fast allen Gegenden Weinbau betrieben wurde, gab es aufgrund klimatischer und bodentechnischer Gegebenheiten natürlich immense Qualitätsunterschiede. Der Wein aus dem Ried eignete sich nur zum Verbrauch vor Ort, er konnte nicht mit dem Rheingauer Wein konkurrieren.
Die Mönche waren aber an anderen Produkten interessiert, die sich im Ried gewinnen lassen konnten. Zum einen war dies Holz, dass in den damals noch vorhandenen Auwäldern in großen Mengen vorhanden war. Zum anderen waren es Nutztiere, die auf den feuchten Wiesen des Rieds gemästet werden konnten. Hauptsächlich ging es aber auch hier um den von den Tieren produzierten Dung, der in den Weinbergen zur Düngung ausgebracht wurde. Die Klosterschiffe fuhren also immer zuerst mit dem Dung vom Ried in den Rheingau, um dann dort den auf dem Dung gereiften Wein aufzunehmen und nach Köln zu liefern.
Neben den Grangien bei Leeheim erwarb das Kloster Eberbach im Jahr 1163 auch die grangia de Gebenbrunnen cum pertinentiis suis, also den Hof Gehaborn mit Zubehör. Schenker war Dragebodo von Dornberg, der damals wohl bisher ungenutztes Land übergab. Da die Mönche das Land nicht verpachten durften, legten sie mitten im Wald eine Grangie an. Dieser Gehaborner Hof war Ausgangspunkt von Rodungen hauptsächlich in nördlicher Richtung. Man legte Felder, größtenteils aber Viehweiden an. Möglicherweise wurden entlang des Darmbaches auch Wasserbaumaßnahmen durchgeführt. Auf den Fischteichen rund um den Gehaborner Hof konnte Goethe auf jeden Fall viele Jahrhundert später eine Bootsfahrt unternehmen. Hauptprodukt war aber, wie bei den Leeheimer Höfen auch, der Dung.
Mit dieser Schenkung des Dragebodo von Dornheim konnte das Kloster Eberbach im Gebiet zwischen Griesheim, Darmstadt und Weiterstadt langfristig Fuß fassen. Durch Erbschaften und Schenkungen, aber auch durch juristische Tricks mehrten die Mönche ihren Besitz rund um Gehaborn. So wurden den Griesheimern 1234 Waldrechte im Forst Harras südöstlich des Hofes abgenommen. Schon 1225 hatte man die Arheilger um Anteile an einem anderen Waldstück gebracht. Alle Fälle wurden vor Gericht verhandelt, Richter war jedoch der Bischof von Mainz, der dem Kloster Eberbach recht verbunden war und hier möglicherweise nicht ganz unparteiisch urteilte.
Neben den Nachteilen, die der klösterliche Hof Gehaborn für seine Nachbarn brachte, dürfen aber auch nicht die Vorteile vergessen werden. Die technischen Fähigkeiten der Mönche trugen sicher nicht nur zur Weiterentwicklung der eigenen Ländereien bei, auch Griesheim, Darmstadt und Weiterstadt dürften hier vom Know-how profitiert haben.
Wichtige Partner des Kloster Eberbachs waren übrigens die Grafen von Katzenelnbogen. Die Grafen nutzten das Kloster als Hauskloster und Grablege. Enge wirtschaftliche Beziehungen verbanden beide Parteien. In der Folge des Klosters im Raum Darmstadt / Griesheim tauchen auch immer mehr die Grafen hier auf. Wie hier die Übergabe von Gehaborn von den Dornheimern an Eberbach in Beziehung steht mit der gewaltsamen Ablösung der Dornheimer durch die Katzenelnbogener hundert Jahre später, und welche Rolle das Kloster dabei spielte, darüber kann man nur spekulieren. Genauso wird für immer ein Rätsel bleiben, ob die Mönche mit ihren planerischen und organisatorischen Fähigkeiten für die Katzenelnbogener Aufgaben in der Landesentwicklung übernahmen, vielleicht sogar bei der Anlage der Stadt Darmstadt und der stadtartigen Neuanlage des Dorfes Griesheim im 14. Jahrhundert.
Auf jeden Fall währte die Präsenz des Klosters in Gehaborn bis 1578. In diesem Jahr erzwangen die Landgrafen von Hessen die Übergabe des Hofes aus dem Klosterbesitz an den hessischen Staat. 1567 war Darmstadt zur Residenzstadt geworden. Die dadurch wachsende Stadt konnte Anfangs nur unzureichend mit Nahrungsmitteln versorgt werden. Gehaborn wurde nun massiv ausgebaut und befestigt, da es zusammen mit dem Sensfelder Hof und dem Hof Kranichstein zur Versorgung der neuen Hauptstadt benötigt wurde.
Die Verbindung zu Darmstadt währte übrigens fast bis heute: die Stadt Darmstadt war in der Nachfolge der Landgrafen von Hessen bis 2014 Besitzer des Gehaborner Hofes, obwohl dieser auf Weiterstädter Territorium und direkt neben der Griesheimer Gemarkung liegt.
Die Verbindung zum Rheingau dagegen ist schon seit dem 16. Jahrhundert erloschen.
Weitere Infos zum Gehaborner Hof:
Quellen:
- Magistrat der Stadt Darmstadt / Red. Dr. Peter Engels: Gehaborn – 100 Jahre Stadtgut, Darmstadt, 1997
- Landesamt für Denkmalpflege Hessen / Dagmar Söder: Kulturdenkmäler in Hessen – Rheingau-Taunus-Kreis I, Wiesbaden, 2014
- Wikipedia: Kloster Eberbach, Zisterzienser
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