Gedanken zum ÖPNV-Anschluss von Griesheim

In manchen Dingen ist Griesheim richtig gut. In anderen Bereichen ist noch deutlich Luft nach oben. Beim Anschluss an den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gilt beides: Die Bereiche entlang der Wilhelm-Leuschner-Straße haben durch die Straßenbahn eine Erschließungsqualität, die kaum noch zu verbessern ist und weit über dem Durchschnitt der Republik liegt. Im Norden und Süden der Stadt sieht es aber ganz anders aus. Tausende Einwohner sind hier überhaupt nicht an das Netz von Bussen und Bahnen angeschlossen und zwar so viele wie nirgendwo sonst in der Region.

Wie ist der aktuelle Stand einzuordnen ? Und: Ist der Antrag zur Straßenbahnverlängerung im Stadtparlament geeignet, die Situation zu verbessern? Welche Alternativen gäbe es?

Die Qualität der ÖPNV-Anbindung eines Ortes ergibt sich aus verschiedenen Faktoren: Wichtig ist die Dichte des Haltstellennetzes, die Taktdichte der Linien, die Attraktivität der anfahrbaren Ziele, die Barrierefreiheit, die Attraktivität der eingesetzten Fahrzeuge, die Art und Qualität von Fahrgastinformationssystemen, die Bedienungszeit (z.B. Abends), die Sicherheit der Umsteigemöglichkeiten, die Ausstattung der Haltestellen und viele weitere Aspekte.

Wendet man diese Kriterien in Griesheim entlang der Wilhelm-Leuschner-Straße an, stellt man fest, dass nahezu alle genannten Punkte in überdurchschnittlicher Qualität vorliegen. Eine Verbesserung in diesem Bereich ist nur noch in Detailpunkten notwendig.

Ganz anders sieht die Situation aus, wenn man sich ein Stück von der Straßenbahntrasse entfernt. Der Griesheimer Norden und der Griesheimer Süden werden von Bussen oder Bahnen überhaupt nicht angesteuert.

Um diesen Punkt zu verdeutlichen, soll die Flächenerschließung von Griesheim durch den ÖPNV grafisch dargestellt werden. Im Allgemeinen macht man das, indem man um alle Haltestellen einen Kreis zeichnet, der das Einzugsgebiet der Haltestelle darstellt. Wie groß so ein Einzugsgebiet ist, darüber herrscht eine gewisse Uneinigkeit. Sicher ist das Gebiet von den oben schon genannten Qualitätsmerkmalen abhängig. Eine S-Bahn-Haltestelle, von der in kurzer Zeit der Frankfurter Hauptbahnhof in dichtem Takt erreicht werden kann, ist um ein vielfaches attraktiver, als eine Bushaltestelle, die nur wenige Male am Tag angefahren wird. Fahrgäste werden daher einen längeren Fußweg zur S-Bahnstation in Kauf nehmen, als zu der Bushaltestelle. Für die folgenden Grafiken habe ich folgende verbreitete Annahmen für die Einzugsgebiete getroffen:

  • Bushaltestelle: 300 Meter
  • Straßenbahnhaltestelle: 400 Meter
  • S-Bahn-Station / Bahnhof: 800 Meter

Auf Griesheim angewendet sieht das dann etwa so aus:

Griesheim heute: Große Teile der Stadt liegen nicht in Haltestellennähe (dargestellt sind 400m-Radien um die Haltestellen). Die Bushaltestelle Schulgasse ist in dieser Darstellung nicht berücksichtigt.
Bebautes Stadtgebiet von Griesheim, schematisierte Darstellung: Grün = An ÖPNV angeschlossene Bereiche. Rot = Bereiche ohne ÖPNV-Anschluss. Die Haltestelle Schulgasse ist hier berücksichtigt.

61% der Stadtfläche werden also nicht vom ÖPNV erschlossen. Dieser Wert erscheint natürlich zunächst zu hoch. Da die Straßenbahn optisch relativ präsent im Stadtbild ist und einen wichtigen Standortfaktor darstellt ist man geneigt, die zugrunde liegende Festlegung des Straßenbahn-Haltestellenradius von 400 Metern anzuzweifeln. Die Bahn ist schließlich so attraktiv, dass man (gefühlt) bereit ist, einen längeren Weg zur Bahn in Kauf zu nehmen. Und diesem Argument müsste man zustimmen, wenn sich andere vergleichbar strukturierte Orte grafisch ähnlich wie Griesheim darstellen würden.

Tun sie aber nicht.

Wir betrachten dazu Arheilgen, Eberstadt und Kranichstein, die ähnlich wie Griesheim der Länge nach von der Straßenbahn durchfahren werden:

Alle drei Darmstädter Stadtteile haben eine Flächenabdeckung, die weit über der von Griesheim liegt. Dies liegt daran, dass neben der Straßenbahn weitere Buslinien die abseits der Straßenbahn liegenden Gebiete erschließen. Zum einen handelt es sich dabei um Stadtteilbuslinien mit eingeschränktem Angebot, zum anderen aber auch um Linien, die in die Nachbarorte fahren. Man hat sich also in keinem der genannten Orte auf die Attraktivität der zentralen Straßenbahnlinie verlassen, sondern auch Maßnahmen unternommen, um eine vollflächige Versorgung zu gewährleisten. Ein ähnliches Bild bietet übrigens die Darmstädter Kernstadt (mit Bessungen) selbst:

Es ist festzustellen, dass nahezu das gesamte Stadtgebiet Darmstadts über den ÖPNV versorgt wird. Drei größere Flecken bilden eine Ausnahme: Im Norden das westliche Werksgebiet der Fa. Merck, das Gleisfeld des Hauptbahnhofes im Nordwesten und der Steinberg im Südosten, der relativ dünn besiedelt ist.

Strukturell ist Griesheim natürlich nicht mit Darmstadt vergleichbar, aus meiner Sicht können aber zumindest die Stadtteile Darmstadts für einen Vergleich herhalten. Wie sieht es aber mit den Vororten von Darmstadt aus, die wie Griesheim eigenständig geblieben sind:

Alsbach-Hähnlein, Pfungstadt, Seeheim-Jugenheim und Weiterstadt bestehen im Gegensatz zu Griesheim aus mehreren Ortsteilen. Trotzdem ist die Flächenerschließung (66-80%) in allen vier Kommunen deutlich besser als in Griesheim (nur 39%) . Dies wird erreicht durch eine Kombination von verschiedenen Buslinien, in Alsbach-Hähnlein und in Seeheim-Jugenheim werden die Straßenbahnlinien durch diverse Buslinien ergänzt.

Und wie sieht es bei den anderen Nachbarorten von Griesheim aus?

Auch bei Büttelborn, Groß-Gerau und Riedstadt ist die Flächenabdeckung um einiges höher als in Griesheim, wenn auch hier fast ausschließlich Buslinien verkehren. Nur Groß-Gerau verfügt über drei Bahnhöfe, die gute Verbindungen in vier Richtungen bieten. Auch diese drei Gemeinden bestehen aber aus mehreren Ortsteilen. Auch wenn Arheilgen, Eberstadt und Kranichstein oben schon etwas anderes gezeigt haben: Ist die Abdeckung bei Einzelorten vielleicht generell schlechter? Dazu schauen wir uns zwei Beispiele aus dem Kreis Darmstadt-Dieburg an, Erzhausen und Dieburg:

Bei beiden Orten ist die Abdeckung deutlich schlechter als bei den bisherigen Beispielen, aber mit Abstand nicht so schlecht wie Griesheim. Sind aber Erzhausen und Dieburg strukturell noch mit Griesheim vergleichbar? Erzhausen ist deutlich kleiner als Griesheim. Dieburg liegt schon nicht mehr so stark im Rhein-Main-Gebiet und ist als ehemalige Kreisstadt auch kein Vorort einer benachbarten Großstadt.

Deshalb sollen hier noch zwei Beispiele gezeigt werden: Oberursel und Baunatal. Beide sind wie Griesheim direkte Nachbarn einer viel größeren Stadt (Frankfurt und Kassel). Beide werden zentral von einer Straßenbahnlinie bzw. Stadtbahnlinie durchfahren, die in dichter Taktfolge eine Verbindung in die große Nachbarstadt schafft.

Wieder zeigt sich: Eine solch schlechte Flächenabdeckung wie in Griesheim ist auch bei diesen Orten nicht zu finden. Beide ergänzen die Straßenbahnlinie bzw. Stadtbahnlinie durch zuführende Buslinien bzw. Buslinien, die einen Teil des Stadtgebietes erschließen und dann in Nachbarorte fahren. Die großen nicht erschlossenen Flächen in Baunatal sind übrigens die Flächen des VW-Werkes, die logischerweise nicht von Bussen erschlossen werden kann.

Für Griesheim bedeutet das aus meiner Sicht, dass der derzeitige Zustand dringend verbessert werden muss. Nur so kann es gelingen, mehr Griesheimer zum Umstieg auf die öffentlichen Verkehrsmittel zu bewegen, um so die Belastungen für Mensch und Umwelt zu reduzieren.

Außerdem hängt die weitere Entwicklung Griesheims stark vom Ausbau des ÖPNV ab. Betrachtet man nämlich, welche Bereiche gar nicht vom ÖPNV erschlossen werden, dann fällt auf: Alle Neubaugebiete, die Konversionsflächen im Südosten und das gesamte Gewerbegebiet am Nordring sind an Busse und Bahnen überhaupt nicht angeschlossen. Dies bedeutet, dass jeder Neubürger in den genannten Gebieten seine Wege größtenteils mit dem PKW erledigen wird – der Anteil des Autoverkehres in Griesheim steigt damit im Prinzip mit jedem neu gebauten Haus, und zwar überproportional. Gleichzeitig kann neues Gewerbe in Griesheim nur schwer angesiedelt werden. Denn immer wichtiger für qualifizierte Arbeitnehmer ist es, dass sie auch ohne Auto zum Arbeitsplatz gelangen können. Gerade viele junge Menschen streben überhaupt nicht mehr an, ein Auto zu besitzen. Will man vom Kuchen des Unistandortes Darmstadt, aus dem sich viele junge Unternehmen herausbilden, etwas abhaben in Griesheim, dann müssen die Gewerbegebiete mit Bussen oder Bahnen erschlossen werden. Es geht also dabei nicht nur um die Umwelt, sondern auch um knallharte fiskalische Aspekte.

Vor einigen Wochen hat die HEAG eine Machbarkeitsstudie vorgelegt, die einzelne Aspekte zur Durchführbarkeit einer Straßenbahnverlängerung im Griesheimer Westen untersucht hat. Drei der Varianten sollen dabei an der großen Kreuzung im Westen enden, eine Variante sieht eine Verlängerung der Trasse nach Süden vor, sie würde am Westring bzw. Flachsgraben enden.

Wie würden sich diese Varianten auf die Flächenerschließung von Griesheim auswirken?

Wie die obigen Grafiken zeigen, bringen die Varianten der HEAG (hier B und D) für die Flächenerschließung von Griesheim fast gar nichts. Im Umweltausschuss in Griesheim wird nun trotzdem ein Antrag diskutiert, der die weitere Stadtplanung auf diese Varianten festlegen will. Dies ist vor allem deshalb erstaunlich, weil die HEAG viele andere Möglichkeiten zur Straßenbahnverlängerung im Griesheimer Westen überhaupt noch nicht untersucht hat. Eine jetzige Festlegung auf Variante B und D kann daher seriös zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht erfolgen, ohne viele Chacen zu vergeben.

Eine mögliche andere Variante soll hier gezeigt werden, die in meinen Artikeln „Stadtbahn Griesheim“ und „Bäderbus“ schon einmal gezeigt wurden:

Durch eine Straßenbahnverlängerung in den Griesheimer Norden und eine Buslinienveränderung im Griesheimer Westen und durch eine Stichstrecke der Bahn in die Konversionsflächen könnte die Flächenabdeckung Griesheims deutlich gesteigert werden:

Andere Lösungen und möglicherweise bessere Lösungen sind auf jeden Fall denkbar. Diese müssen untersucht und diskutiert werden, da alle schwerwiegende Auswirkungen auf die Stadtentwicklung Griesheims haben werden. Eine jetzige Festlegung auf eine bestimmte Trassenführung der Straßenbahn westlich des heutigen Ortsausganges kann daher nicht erfolgen. Eine Festlegung ist nur für den Bereich innerhalb des Ortes nötig, um weitere Planungen für den Ortsausgang West zu ermöglichen.


Eine Ergänzung zu diesem Artikel finden Sie hier: Teil 2

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