Ein großer städtebaulicher Fehler

Südlich der Lutherkirche entsteht wohl noch in diesem Jahr das jüngste der Griesheimer Neubaugebiete – das sogenannte Quartier „Pfarrgasse Süd“. In vielerlei Hinsicht handelt es sich hierbei um einen großen städtebaulichen Fehler, der den westlichen Ortseingang auf viele Jahrzehnte hin negativ beeinflussen wird. Warum die Entwicklung des Gebietes in der jetzigen Form falsch ist, lesen Sie hier:

Die Bebauung wird aufgrund des Bebauungsplanes „Pfarrgasse Süd“ erfolgen. Er trat schon 2004 in Kraft. 2016 wurde eine kleine Änderung beschlossen, die den Fortbestand des Wohnhauses Schulgasse 7 sicherte.

Online können Sie den Plan auf der Seite des Landkreises einsehen und zwar unter diesen Links: Plan 2004, Ergänzung 2016, Zeichenerklärung 2016, Textteil 2016.

Etwas vereinfacht wird das Neubaugebiet in etwa so aussehen:

Zwischen der Schulgasse (B26), also der Hauptstraße nach Wolfskehlen und der südlichen Mauer des Kirchhofes entstehen 11 Baugrundstücke, die jeweils zwischen 280 und 450 Quadratmeter Fläche haben. Diese werden mit 3 Doppelhäusern und 5 Einzelhäusern bebaut, die ein Vollgeschoss und Dachgeschosse unter einem Satteldach haben werden. Erschlossen werden die Grundstücke über eine neu zu errichtende Straße, die als Sackgasse zwischen die Grundstücke führt. Im östlichen Bereich des Neubaugebietes wird ein Parkplatz entstehen, von dem aus mehrere Garagen erschlossen werden. Der entlang der Kirchhofmauer führende Weg bleibt erhalten. An der Südseite des Neubaugebietes wird eine Lärmschutzwand errichtet, die gemäß des Magistratsbeschlusses im September als Gabionenwand ausgebildet wird.

Das Neubaugebiet ist mit seiner Fläche von ca. 5.600 Quadratmetern vergleichweise klein. Trotzdem ist es für die Entwicklung der Stadt aufgrund seiner zentralen Lage von großer Bedeutung.

Aus meiner Sicht ist die Planung des Neubaugebietes über alle Themengebiete hinweg ein großer Fehler. Dies begründe ich wie folgt:

Falsche Nutzung

Das Neubaugebiet liegt direkt an der Bundesstraße 26, in der Nähe zur großen westlichen Kreuzung und zur Straße nach Büttelborn und auch noch im Bereich der Abflugroute des Frankfurter Flughafens. Mit aufwendigen Maßnahmen muss im Quartier der Lärmschutz realisiert werden. Es stellt sich daher die Frage, ob eine Wohnbebauung hier richtig platziert ist oder ob nicht Nutzungen angemessener wären, die auf die Lage am Ortseingang besser eingehen.

Falsche Bauweise

Es ist eine offene Bauweise vorgesehen. Diese ermöglicht es dem Verkehrslärm, recht ungehindert in das Quartier vorzudringen. Durch eine geschlossenere Blockrandbebauung hätte dies schon baulich verhindert werden können, ohne eine Lärmschutzwand errichten zu müssen.

Schlechte Außenwirkung

Durch die vorgesehene Lärmschutzwand entsteht keine Visitenkarte der Stadt, es wird kein Willkommenszeichen ausgebildet. Stadtdessen duckt sich die Bebauung hinter einer Art Stadtmauer. Für Ortsfremde ist dies keine gute Symbolik. Die Wirkung von solchen weichen Faktoren ist nicht zu unterschätzen, sie entscheidet oft mit bei der Entscheidung, ob man in Griesheim seinen Wohnsitz nimmt oder ob man hier einen Gewerbebetrieb ansiedelt.

Keine Werbung für die Innenstadt

Griesheim wirbt nach außen mit seiner Innenstadt und ihren Vorzügen. Dies wird auch auf Werbeschildern dargestellt, die wenige Meter östlich des Stadteinganges West aufgestellt sind. Die Griesheimer Innenstadt ist gleichzusetzen mit der Hauptstraße. Es ist umlogisch, ein und die selbe Straße als lebenswerten Stadtmittelpunkt zu gestalten, während man einige Meter westlich die Straße offensichtlich für so bedrohlich hält, dass man sich mit einer Lärmschutzwand abschotten muss. Dieser Widerspruch wird spürbar werden und niemals mehr zu einer befriedigenden Gestaltung des westlichen Ortseinganges führen.

Einschränkungen für die Straßenbahn

Es wurde untersucht, ob es sinnvoll ist, die Straßenbahn bis zum westlichen Ortsrand zu verlängern. Leider werden die Ergebnisse dieser Untersuchung der Öffentlichkeit bisher vorenthalten. Durch den Bau des Neubauviertels ist die Errichtung einer Endschleife an der Lutherkirche, also nördlich der Straße, nicht mehr möglich. Man beraubt sich einer Möglichkeit zur Gestaltung der neuen Endstation der Straßenbahn, ohne dass man die Sinnhaftigkeit dieses Vorhabens je öffentlich diskutiert hätte.

Fehlende Wirtschaftlichkeit

Ein Blick auf den Lageplan des Neubauviertels zeigt es gleich: Das Quartier kann niemals wirtschaftlich entwickelt werden. Jedes Grundstück wird an zwei Seiten von öffentlichen Wegen erschlossen, was eine Übererschließung darstellt. Hinzu kommt noch der öffentliche Parkplatz an der Ostseite des Baugebietes: Obwohl die zukünftigen Grundstückeigentümer ja auf ihrem eigenen Gelände Stellplätze zu schaffen haben, werden hier noch auf Kosten der Allgemeinheit weitere Plätze geschaffen. Angesichts der lediglich 11 neuen Wohneinheiten wird hier entschieden zu viel Erschließungsfläche geschaffen und damit nicht zuletzt auch Boden sinnlos versiegelt.

Falsches Zeichen angesichts des Wohnungsmangels

In Griesheim wird der Wohnraum knapp. Die Nachfrage steigt immer weiter, während vor allem bezahlbarer Wohnraum immer weniger angeboten ist. Wenn man sich also schon unbedingt für eine Wohnnutzung am Standort Pfarrgasse Süd entscheidet, warum werden dann dort nur 11 (!) Wohneinheiten geschaffen? Jedes dieser Häuser wird ca. 600.000 Euro kosten, dies kann sich wahrlich nicht jeder leisten. Eine Bebauung mit Mehrfamilienhäusern könnte stattdessen ca. 45 Wohneinheiten zu durchschnittlich 85qm Fläche bringen. (Wußten Sie übrigens, dass Kommunen Sozialwohnungen zum Nulltarif bauen könnten, wenn man nur wollte. Aber das nur nebenbei…)

Ignoranz gegenüber der Geschichte

Im Artikel über die Lage der Lutherkirche am Ortsrand hatte ich ja bereits dargestellt, warum die Kirche am Stadtrand liegt und dass genau das auf Besonderheiten in der Griesheimer Geschichte zurückzuführen ist. Durch das Neubaugebiet wird die städtebauliche Sonderstellung der Kirche zerstört. Grundsätzlich bin ich nicht der Auffassung, dass uns geschichtliche Ereignisse zwangsweise an moderner Weiterentwicklung hindern müssen. Ich halte es dabei aber mit folgendem Spruch, den mir ein Konservativer mal gesagt hat: „Konservativ sein bedeutet, dass man die guten Dinge bewahrt und die schlechten verbessert“. In diesem Sinne müsste das Neubaugebiet, wenn es schon nicht die alten Dinge bewahrt, eine Verbesserung bringen. Wie bisher dargestellt tut es dies aber nicht.

Mangelhafte Ökologie

Zu dem vorherigen Argument wird nun aber der ein oder andere entgegnen: Die jetzige Situation mit den verwahrlosten Kleingärten ist unansehlich, der Ortseingang wird doch mit den kleinen Häusern hinter der großen Mauer viel ordentlicher aussehen. Dem ist zu entgegnen: Stimmt. Ordentlich und tot. Die bisherigen Gärten haben sicherlich nicht dem Anspruch an den Ortseingang einer 30.000-Einwohner-Stadt entsprochen. Hier wäre inhaltlich und gestalterisch deshalb eine besondere Lösung erforderlich gewesen, zum Beispiel so was wie in diesem alten Artikel. Die Gärten waren aber wenigstens ein Lebensraum für viele verschiedene Klein- und Kleinstlebewesen.  Alle beklagen das Insektensterben. Aber immer mehr Gärten in der Stadt werden zu pflegeleichten Rasen- und Betonwüsten, während außerhalb der Stadt die wichtigen Feldgehölze immer weiter zurückgehen und dort leblose Äcker zurückbleiben. Nicht, dass die Kleingärten hier die Welt gerettet hätten. Aber mit ihrer Entfernung geht auch dieses Habitat für Insekten und anderes Getier verloren, ohne wenigstens auf anderen Gebieten für die Stadt Griesheim irgendwelche Vorteile zubringen.

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