Einen Berg kann man nicht versetzen…

…aber umbenennen, das geht dagegen schon.

Griesheim hat zwar selbst keine nennenswerten Erhebungen zu bieten, vom Stadtgebiet aus sind aber zwei ausgewachsene Berge meist gut zu sehen, nämlich der Melibokus im Süden und der Große Feldberg im Taunus, wenn man nach Norden schaut. Beiden gemeinsam ist, dass sie nicht mehr ihren ursprünglichen Namen tragen.

Der Melibokus hat für Griesheim geschichtlich eine gewisse Bedeutung. Vor dem Bau der Chaussee in Ost-West-Richtung lief der Fernverkehr durch den Ort nämlich von Nordwesten nach Südosten. Griesheim lag an der Straße von Mainz über Groß-Gerau nach Zwingenberg und weiter nach Heidelberg. Spätestens ab Büttelborn lief die Straße immer auf den Berg zu. Der Melibokus war daher eine wichtige Landmarke, ein Ziel, das man leicht anpeilen konnte, ohne sich zu verirren. An dessen Fuß, in Zwingenberg, vereinigte sich der Verkehrsstrom mit der Handelsstraße von Frankfurt, um gemeinsam als Bergstraße weiter gen Süden zu laufen.

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Zwingenberg, Scheuergasse, Blick nach Osten: Zwischen den beiden Nebengipfeln schaut der Melibokus hervor. An dessen Spitze eine Sendeanlage und der Aussichtsturm (links).

Auch später noch einmal verbindet unsere Stadt und den Berg etwas Geschichtliches: Bei der hessischen Landesvermessung im 19. Jahrhundert, von der ich hier schon einmal berichtete, musste als Grundlage ein gigantisches Dreieck in der Landschaft abgesteckt werden, dessen Eckpunkte markante Orte einnahmen: Der Turm der Darmstädter Stadtkirche, der Turm der Griesheimer Lutherkirche und der Gipfel des Melibokus. Von diesem Dreieck ausgehend wurde dann der Rest des Hessenlandes vermessen.

Vermutlich auf Grund der Bedeutung für Griesheim wurde in der jüngsten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung beschlossen,  eine Straße nach ihm zu benennen. Der Melibokusweg wird im Neubaugebiet Südwest zu finden sein. Ob die geschichtlichen Erwägungen dabei im Vordergrund standen, weiß ich leider nicht. Aber allein die Präsenz des Berges am Horizont, die auch heute noch das Orientieren in der Gemarkung sehr einfach macht, rechtfertigt den Vorgang.

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Der Gipfel des Melibokus vom Auerbacher Schloss aus. Der Sendemast ist deutlich höher als der Aussichtsturm am westlichen Abhang.

Diese Präsenz verdankt er natürlich seiner Höhe. Zwar ist er mit seinen 517,4 Metern über dem Meeresspiegel nicht einmal der höchste Berg des Odenwaldes. Da er aber markant an der westlichen Kante des Gebirges steht, wo die Berglandschaft in die flache oberrheinische Tiefebene übergeht, beträgt seine relative Höhe zum Bergfuß in Zwingenberg immerhin 400 Meter. Vom Aussichtsturm auf seinem Gipfel kann man deshalb auch das Straßburger Münster sehen.

Der Name Melibokus ist etwas rätselhaft. Im Volksmund war der Berg ganz einfach als Spitzberg bekannt. Parallel dazu nannte man ihn aber auch Malschen. Urkundlich taucht diese Form als mons malscus im Jahre 1012 auf.

Aus dem Malschen wurde erst später der Melibokus. Diese „Umbenennung“ geht auf die frühe Neuzeit zurück. Nach dem Mittelalter folgte mit der Renaissance eine Wiederentdeckung der antiken römischen und griechischen Traditionen und Überlieferungen. Im Klassizismus um 1800 nahm man diese Ideen dann nochmal auf. Dabei stieß man irgendwann auf die Schriften von Ptolemäus. Er berichtete von einem Berg namens Melibokon. Diesen versuchte man im Malschen wiederzuerkennen und versetzte den Namen des Berges in seine vermeintlich ursprüngliche Form. Heute weiß man zwar, das Ptolemäus den Harz meinte, der Name Melikokus ist jedoch geblieben.

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Der Turm auf dem Großen Feldberg Ende 2017.

Eine ähnliche Geschichte hätte der Taunus zu erzählen. Sein höchster Gipfel, der Große Feldberg, ist von Griesheim aus im Norden meist gut zu sehen. Der Taunus trägt seinen Namen erst seit dem 18. Jahrhundert. Vorher trug er den ziemlich simplen und sehr hessisch erscheinenden Namen „Die Höh´„. In der Benennung der Stadt Bad Homburg vor der Höhe hat sich die ursprüngliche Form erhalten.

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Auch das hat Hessen zu bieten: die Bergwacht auf dem Großen Feldberg im Taunus.

Taunus klingt lateinisch und ist es auch. Wieder geht der Name auf die Begeisterung für die Antike zurück. Hier war es allerdings keine griechische Quelle wie bei Ptolemäus (streng genommen war er sogar Ägypter), sondern eine römische. Tacitus erwähnt ein castellum in monte tauno.  Man geht heute davon aus, dass damit das Kastell in Friedberg gemeint war, an dessen Stelle sich heute die mittelalterliche Burg befindet. Später tauchte ein römischer Verwaltungsbezirk auf, der die heutige Wetterau und das Gebiet der Stadt Frankfurt am Main umfasste. Er hieß Civitas Taunensium. Der Landgraf von Hessen-Homburg ordnete Ende des 18. Jahrhunderts aus Geschichtsbegeisterung heraus die Umbenennung  der „Höh“ an, die sich erstaunlicherweise durchsetzte, obwohl sein Herrschaftsgebiet sich auf wenige Quadratkilometer um Bad Homburg beschränkte und damit nur einen Bruchteil des Gebirges umfasst. Wahrscheinlich wird die fortschreitende Wissenschaft ihr Übriges getan haben: Man erkannte, dass „die Höh´“ Teil eines langen, geologisch zusammenhängenden Gebirges ist und gab dem gesamten Höhenzug den Namen Taunus. Sogar das Rheingaugebirge wird seitdem als Teil des Taunus´ angesprochen.

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Friedberg: Das Südportal der Burg in Richtung Stadt. Die Burg Friedberg liegt auf einem Hügel, von dem die gesamte Wetterau zu überblicken ist. Vermutlich ist der Hügel der gesuchte „Monte Tauno“ des Tacitus.

Ganz spaßig: Es wird vermutet, dass das oben genannte „tauno“ aus dem Keltischen stammt. Etymologisch wäre es dann verwandt mit dem Wort Düne und hätte die Bedeutung „Zaun“, „Wall“ oder „Höhe“. Dem Homburger Landgrafen war wahrscheinlich nicht bewusst, dass er das Gebirge gar nicht umbenannt hat, sondern dass es am Ende bei „Höhe“ geblieben ist.

Kurze Abschweifung: Mich faszinieren ja die Verwandtschaften des Wortes „Zaun“. Ein Zaun oder ein Wall umgibt eine Stadt. Im Englischen wird daher der Zaun zum Synonym für „Stadt“: Zaun = town. Ein Zaun umgibt aber auch einen Garten. Der Garten heißt daher im niederländischen tuin. Weil der Garten durch den Zaun beschützt / bewacht wird, heißt er Garten. Garten ist nämlich verwandt mit französisch garder = bewachen. Aus diesem Geflecht sind eine ganze Menge Ortsnamen entstanden: Der Gardasee ist nach der Stadt Garda benannt, die den Zugang von Italien Richtung Tirol bewacht. In England enden viele Städtenamen auf -ton, z.B. Southhampton. Dieses -ton ist eine Form von town und auch die Endung der Hauptstadt London ist letztendlich nichts anderes. Ende der Abschweifung.

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Die Abtragung des Kirschberges in Griesheim. An der Stelle befindet sich heute der Fachraumtrakt der Gerhart-Hauptmann-Schule. Im Hintergrund ist die Einmündung der Jahnstraße in die Wilhelm-Leuschner-Straße zu sehen. Bildquelle: Stadtarchiv Griesheim.

Zum Schluß noch folgender Gedanke: In der Überschrift wird ja behauptet, dass Berge nicht versetzt werden könnten. Das mag für die Welt außerhalb von Griesheim stimmen. Innerhalb der Stadtgrenzen der erstaunlichsten Stadt des Universums* gilt das nicht. Aufmerksame Leser dieses Blogs werden wissen, dass die Griesheimer ihre drei wichtigsten Berge sehr wohl versetzen und letztendlich sogar verschwinden lassen konnten.


* Griesheim

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