Gerade so verpasst

In Gegensatz zu den meisten seiner Nachbarorte ist Griesheim relativ spät erstmals schriftlich erwähnt worden. Weiterstadt tauchte 948 n. Chr. auf, Groß-Gerau 910 und Pfungstadt sogar schon 784. Darmstadt wird immerhin im 11. Jahrhundert erwähnt. Die älteste Urkunde, die Griesheim nennt, wurde dagegen erst im Jahr 1165 verfasst. Das ist vor allem deshalb erstaunlich, weil archäologische Funde nahelegen, dass Griesheim schon seit dem 6. Jahrhundert besiedelt war und es nicht unwahrscheinlich ist, dass die damalige Siedlung schon „Griesheim“ geheißen haben könnte.

Und diese Siedlung lag im Jahr 1002 leider etwas zu weit östlich, südlich oder westlich, sonst wäre Griesheim vielleicht damals schon aus dem Dunkel der Geschichte aufgetaucht…

Mit den sogenannten Ersterwähnungen ist es ein bißchen schwierig. Immer noch herrscht die Vorstellung vor, dass sie etwas über das Alter eines Ortes aussagen würden. Dies wäre aber nur der Fall, wenn man aus Anlass der tatsächlichen Gründung eines Ortes eine Urkunde ausgefertigt hätte (und diese bis heute erhalten wäre). Dieser Fall ist aber eher selten.

Wesentlich öfter trifft man auf folgende Konstellation: Ein Ort entsteht im Laufe der Geschichte, über dieses Ereignis wurde aber entweder keine Urkunde ausgefertigt oder sie ist nicht bis heute erhalten. Als Ersterwähnung gilt dann schlicht die älteste erhaltene Urkunde. In diesen Fällen können zwischen der Entstehung und der Ersterwähnung Jahrhunderte liegen.

Auch auf Griesheim trifft das zu. Der 1165 als „Griezheim“ genannte Ort ist viel älter. Der Anlass seiner Erwähnung ist nicht die Gründung, sondern ein Besitzwechsel. Griesheim gelangte damals an das Kloster Bronnbach.

Besitzwechsel sind ein wichtiger Anlass zur Ausstellung von Urkunden im Mittelalter. Viele Orte, die schon länger existierten, tauchen in derartigen Urkunden das erste Mal auf.

Ein anderer Anlass ist die Aufzählung von Besitztümern. Viele Orte südlich von Griesheim tauchen im 8. Jahrhundert in Verzeichnissen des Klosters Lorsch auf, so auch Pfungstadt. Der „Lorscher Kodex“ ist eines der bekanntesten Verzeichnisse dieser Art. Im Gegensatz zu Pfungstadt war Griesheim aber wohl nie Eigentum dieses Klosters, in Lorscher Verzeichnissen wird man deshalb vergebens nach Griesheim suchen.

Eine Chance, schon vor 1165 in einer Urkunde zu landen, hat Griesheim im Jahr 1002 verpasst. Damals schenkte Kaiser Heinrich II. verschiedene Waldnutzungsrechte (hauptsächlich das Jagdrecht) im Reichsforst „Forehahi“ dem Bischof in Worms. Der Wald erstreckte sich rechts des Rheines, grob gesagt zwischen Main und Neckar. Um das Gebiet etwas genauer zu fassen, beschrieb man in der Schenkungsurkunde seine Grenze, die um Griesheim wie folgt verlief:

„(Die Grenze geht) vom Dorf Elmeresbach am Rhein nach Erfelden, von dort nach Bibiloz, von dort die Straße entlang nach Otterstadt, von dort die Straße entlang zur Kirche in Bessungen, von hier aus die Bergstraße entlang nach Eberstadt…“ Quelle: Peter Engels, Geschichte Bessungens, Darmstadt 2002, S. 23

Erfelden existiert noch, Elmeresbach ist vor langer Zeit im Rhein versunken. „Bibiloz“ wurde später in „Wolfskehlen“ umbenannt. Otterstadt ist ein ausgegangenes Dorf, das zwischen Griesheim und Büttelborn lag. Spannend ist die Erwähnung einer Straße von Otterstadt nach Bessungen. Möglicherweise war sie ein damals noch bestehender Teil der Römerstraße von Groß-Gerau über Büttelborn nach Bessungen. Bessungen verdankt übrigens dieser Urkunde seine Ersterwähnung.

Die Grenze des Forehahi lief damals also ca. drei Kilometer westlich, nördlich und östlich an Griesheim vorbei. Es hat also seine Ersterwähnung im Jahre 1002 um ein kurzes Stück verpasst.

 

13 Gedanken zu „Gerade so verpasst“

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