Straßennamen geben immer einen Einblick in die Geschichte. Manche erinnern an längst vergessene Bauten, an bestimmte Ereignisse und natürlich an historische Personen. Nicht immer sind die Namen glücklich gewählt, denn jeder Mensch hat seine guten und schlechten Seiten. Man sollte eine Straßenbenennung deshalb sicher nicht als Heiligsprechung interpretieren, sondern als Einladung, sich mit der benannten Person einmal genauer zu beschäftigen. Das Namensschild wird damit gewissermaßen zu einem „Denkmal“ im wortwörtlichen Sinne. Aber auch diese Auffassung hat ihre Grenzen – aus wirklich guten Gründen sind die Straßenumbenennungen im sogenannten Dritten Reich nach dessen Zusammenbruch wieder rückgängig gemacht worden.
Schon vor einiger Zeit bin ich zu diesem Thema auf einige Protokolle des Griesheimer Gemeinderates aus der Zeit zwischen 1933 und 1947 aufmerksam gemacht worden. Diese geben uns Informationen über die Umbenennungen der Griesheimer Straßen im Zuge der Machtergreifung der Nationalsozialisten.
Rückblick: Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Hindenburg Hitler zum Reichskanzler. Zwei Tage später wurde der Reichstag aufgelöst und Neuwahlen angesetzt, die am 5.3.1933 stattfanden. Gleichzeitig fanden auch Gemeinderatswahlen statt. Während in den meisten Orten die Nationalsozialisten die Mehrheit errangen, gab es aber doch noch einige Orte, in denen noch andere Parteien vorne lagen.
Dies war auch in Griesheim der Fall. Nach dem Ergebnis der Wahl hätte die SPD acht Sitze erhalten müssen, die NSDAP sieben. Durch die Gleichschaltungsgesetze und den einsetzenden Terror gegen Andersdenkende und Minderheiten wurden die Gemeinderäte der SPD jedoch daran gehindert, ihr Mandat auszuüben. Im Juni 1933 wurden ihre Sitze durch Nationalsozialisten übernommen, die nun also den gesamten Gemeinderat stellten.
Das erste der oben genannten Schreiben stammt vom 19. August 1933, wurde also ungefähr zwei Monate nach der Gleichschaltung des Gemeinderates verfasst. In dem ihm richtet sich die Gemeinde Griesheim an das Hochbauamt Darmstadt mit folgendem Inhalt:
„4189./S./V.
An
hessisches Hochbauamt Darmstadt,
wir beehren uns mitzuteilen, dass der Gemeinderat in seiner Sitzung vom 10. August 1933 infolge der nationalen Erhebung die nachfolgenden Plätze und Strassen umbenannte:
Friedrich-Ebertstrasse … in Adolf-Hitlerstrasse
Schüler-Platz … in Horst-Wesselplatz
Jahnstrasse … in Am Horst-Wesselplatz
Ludwigstrasse … in Hindenburgstrasse
Wilhelmstrasse … in Albert-Leo-Schlageterstrasse
Rathenaustrasse … in Schöneweibergasse
Westliche Lagerstrasse … in Jahnstrasse
Karl-Liebknechtstrasse … in Waldstrasse
Die Friedrich-Ebertstrasse in Adolf-Hitlerschule.
Gleichzeitig bitten wir Sie, die Wahrung dieser Aenderungen in den Ortsbauplan vorzunehmen.“
Dazu folgende Hinweise:
- Die erstgenannte Jahnstraße ist nicht die heutige Jahnstraße. Dabei handelte es sich um die Wohnstraße an der Nordseite des heutigen Georg-Schüler-Platzes, an der zum Beispiel das Georg-August-Zinn-Haus liegt.
- Die Schöneweibergasse war wohl 1925 in Rathenaustraße umbenannt worden. Rathenau war deutscher Außenminister und wurde 1922 ermordet.
- Nach Rathenau wurde bis heute keine Straße mehr in Griesheim benannt.
- Bei der zweiten Nennung der Friedrich-Ebertstrasse ist wohl ein Fehler im Original passiert – gemeint ist die Friedrich-Ebert-Schule.
- Die Schreibweisen im obigen Zitat wurden aus dem Original übernommen und widersprechen teilweise den Rechtschreibregeln.
- Die Umbenennungen in Jahnstraße und Schöneweibergasse haben auch noch heute Gültigkeit.
Während die Abgeordneten der SPD 1933 aus dem Gemeinderat gedrängt wurden, durfte Bürgermeister Feldmann, der das Amt seit 1930 innehatte, zunächst weiter machen. So wirkte er im nationalsozialistischen Staat mit, trotzdem ist übrigens heute noch eine Straße nach ihm benannt.
Vergleichbare Biographien gab es tatsächlich öfter: Carl Neinhaus wurde 1928 Oberbürgermeister von Heidelberg. 1933 trat er in die NSDAP ein und behielt so sein Amt bis 1945. Nach dem Ende des Krieges konnte er seine politische Tätigkeit bald wieder aufnehmen, diesmal in der CDU. Er wurde 1952 wieder Oberbürgermeister von Heidelberg (bis 1958). Gleichzeitig war er Landtagsabgeordneter und von 1952 bis 1960 Präsident des Landtages von Baden-Württemberg.
In Griesheim wurde Bürgermeister Feldmann 1938 durch einen Nationalsozialisten ersetzt. Im gleichen Jahr wurden weitere Straßennamen im Sinne der braunen Machthaber benannt oder umbenannt:
„Auszug aus dem Sitzungsprotokoll des Gemeinderats der Gemeinde Griesheim b./D.
Geschehen Griesheim, den 17. Oktober 1938
2. Benennung von Strassen
Der Bürgermeister schlägt für die neu zu errichtenden Strassen folgende Namen vor:
- Die Strasse neben dem Rohde´schen Anwesen, die von der Bessungerstrasse nach der Sterngasse zieht in „ODENWALDSTRASSE“.
- Die Strassen die von der neuen Darmstädterstrasse nach der Strasse am Alten Darmstädterweg ziehen und zwar von der Freiligrathstrasse ab wie folgt
Erste Strasse Sudetenstrasse
Zweite Strasse Ostmarkstrasse
Dritte Strasse Saarlandstrasse
Vierte Strasse Memelstrasse
Die Schöneweibergasse von der Neuen Darmstädterstrasse bis zur Riedbahn in „HERMANN GÖRINGSTRASSE“ umzubenennen (…)
Da die Gemeinderäte hiergegen keine Einwendungen erhoben, erhebt der Bürgermeister seinen Vorschlag zum Beschluss. (…)“
Dazu folgende Hinweise:
- Die erste bis vierte Straße heißen heute Herweghstraße, Heinrich-Heine-Straße, Fichtestraße und Kantstraße. Wann sie umbenannt wurden, ist mir nicht bekannt.
- Die „Neue Darmstädterstrasse“ ist die heutige Wilhelm-Leuschner-Straße
- Der letzte Satz gibt Zeugnis davon ab, wie sich in wenigen Jahren das Führerprinzip durchgesetzt hatte.
Die Umbenennung der Schöneweibergasse in „Hermann Göringstrasse“ stieß erstaunlicherweise auf Probleme:
„Auszug aus dem Sitzungsprotokoll des Gemeinderats der Gemeinde Griesheim b./D.
Geschehen Griesheim, den 9. Januar 1939
5. Umbenennung der Schöneweibergasse
Die in der Gemeinderatssitzung vom 17.Oktober 1938 beschlossene Umbenennung der Schöneweibergasse in Hermann Göringstrasse wurde die kreisamtliche Genehmigung aus gesetzlichen Gründen versagt.
Der Bürgermeister schlägt daher vor dieselbe in „BISMARCKSTRASSE“ umzubenennen.
Da die Gemeinderäte hiergegen keine Einwendungen erhoben, wird der Vorschlag vom Bürgermeister zum Beschluss erhoben. (…)“
Die Straßennamen blieben nun bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 unverändert.
Am 24. März 1945 fand ein Gefecht um Griesheim zwischen amerikanischen und deutschen Truppen statt, das mindestens 26 Tote forderte. Am Abend des gleichen Tages wurde Griesheim von den Amerikanern eingenommen, die natürlich auch die politische Kontrolle übernahmen. Am 7. April 1945 wurde Daniel Müller von ihnen als Bürgermeister eingesetzt. Gleichzeitig kam ein Bürgerausschuss ins Amt, der den Wiederaufbau des zerstörten Ortes leitete und natürlich das alltägliche Leben zu organisieren hatte.
In dieser Zeit wurden wohl die meisten Umbenennungen von Straßen entweder rückgängig gemacht oder es fand eine neuerliche Umbenennung statt. Protokolle von den Beschlüssen des Bürgerausschusses gibt es wahrscheinlich nicht, sodass der später gewählte reguläre Gemeinderat 1947 die Beschlüsse von 1945 nochmals bestätigte.
„Griesheim, den 21. Aug 47
Der Gemeinderat versammelte sich heute in beschlußfähiger Anzahl um über die nachstehenden zur Beratung gestellten Gegenstände wie folgt Beschluß zu fassen. (…)
2. Umbenennung von Ortsstraßen
Über eine im Jahre 1945 vorgenommenen Umbenennung von Ortsstraßen durch den früheren Bürgerausschuß der Gemeinde Griesheim ist eine Niederschrift nicht vorhanden.
Der Gemeinderat ? daher einstimmig die Umbenennung der folgenden Ortsstraßen
- Die frühere Hindenburgstraße in: August-Bebel-Straße
- “ “ Adolf Hitlerstraße in: Friedrich-Ebert Straße
- “ Neue Darmstädterstraße in: Wilhelm-Leuschner-Straße
- Die Waldstraße in Karl-Liebknechtstraße
- Die Hermann-Göring-Str? in Schöneweibergasse
- Die Straße der S.A. in Leninstraße
- Die Wilhelmstraße in Georg-Fröbastraße
- Der Heinrich Schlentpl? in Ernst Thälmannplatz
- Der Platz (kaltes Eck) in Zöllerplatz
- Der Horst Wessel Platz in Georg-Schülerplatz
(…)“
Dazu folgende Hinweise:
- Bei dem vorliegenden letzten Protokoll handelt es sich um eine handschriftliche Aufzeichnung, wahrscheinlich eine Abschrift. Die Schreibfehler und Fragezeichen sind auch im Original zu sehen.
- Über die Leninstraße (heute Berliner Straße) hatte ich ja hier schon einmal geschrieben. Der Thälmannplatz ist heute nicht mehr zu finden.
- Offensichtlich war man bei der Umbenennung der Schöneweibergasse doch auf den ursprünglichen Plan, die Straße in Hermann-Göringstrasse umzubenennen, zurückgekommen.
Die Gemeinderäte haben gut daran getan, die nationalsozialistischen Straßennamen verschwinden zu lassen. Auch die Entscheidung, nicht die alten monarchistischen Namen wieder auftauchen zu lassen, war richtig. An die Geschichte Griesheims in der Zeit des Dritten Reiches muss über andere Wege erinnert werden. Vergessen darf man sie jedenfalls nicht.
Weiterführende Links:
Personen des Nationalsozialismus oder im Zusammenhang, nach denen gem. obiger Quelle Straßen benannt waren:
Andere Personen, nach denen Straßen benannt wurden:
- Friedrich Ludwig Jahn
- Friedrich Ebert
- Otto von Bismarck
- Karl Liebknecht
- Wladimir Iljitsch Lenin
- Wilhelm Leuschner
- Ernst Thälmann
- Georg Fröba
- Georg Herwegh
- Heinrich Heine
- Johann Gottlieb Fichte
- Immanuel Kant
Nach welchem Wilhelm bzw. Ludwig die entsprechenden Straßen in Griesheim benannt waren, kann ich nicht mehr nachvollziehen. Vermutlich handelte es sich um Ludwig I. von Hessen und Kaiser Wilhelm I. Das ist aber Spekulation.