Um Leser für einen Artikel zu interessieren braucht man einen spannenden Titel. Im vorliegenden Fall ist das nicht gelungen. Dabei stellte die Ökotopengrenzlage den entscheidenden Faktor bei der Entstehung einer Siedlung dar – so auch in Griesheim. Wenn auch vor ziemlich langer Zeit.
In Zeiten, in denen Energie, Transportmittel und Warenangebote nicht so umfangreich vorhanden waren wie heute, gingen die Menschen nachhaltiger mit ihrer Umwelt um. Dies vermutlich aber nicht, weil man früher im Einklang mit der Natur leben wollte, sondern weil man schlicht nicht über die Mittel verfügte, die Natur zu ignorieren. Damals waren die Menschen ziemlich auf sich alleine gestellt, und man musste sich schon ganz genau überlegen, wie man überleben wollte. Deshalb war es vernünftig, einen Platz zum Wohnen auszuwählen, von dem man in möglichst kurzer Entfernung alle benötigten Ressourcen erreichen konnte. In Zeiten ohne ausgebaute Wege, ohne nennenswerte Transportmittel und dem Lauern von Gefahren hinter jedem Baum war man nämlich auf einen relativ engen Bewegungsradius beschränkt.
Welche Ressourcen benötigt wurden, sieht man in folgender Grafik:

Beim Durchsehen wird schon klar, dass nicht alle Ressourcen in ein- und derselben Landschaft zu finden sind. Wobei Landschaft hier das falsche Wort ist, der Fachmann spricht von Ökotopen. Der Begriff kommt aus dem Griechischen und setzt sich aus Oikos = Wohnraum und Topos = Ort zusammen. Vereinfacht gesagt wird damit der Bereich beschrieben, den ein Ökosystem einnimmt. Ein Ökosystem ist zum Beispiel der Wald, oder eine Wiese, ein Bach, ein See oder ein Gebirge mit der entsprechenden Flora und Fauna.
Wild zum Jagen findet man eher im Wald, Ackerbau kann man dort aber nicht betreiben. Überlebensnotwendiges Wasser findet sich in einem Bach oder einem See. Dessen Umgebung ist aber feucht und eignet sich wahrscheinlich nicht, um dort ein Haus zu bauen oder bestimmte Pflanzen zu ziehen. Es ist daher sinnvoll, seinen Wohnplatz an der Grenze von zwei oder mehreren Ökotopen zu wählen. So einen Platz bezeichnet man dann als Ökotopengrenzlage und die meisten Siedlungen in Mitteleuropa wurden in einer solchen Lage angelegt.
Eine klare Ökotopengrenzlage nehmen zum Beispiel Hafenorte ein. Hier fallen die beiden Ökotope natürlich sofort ins Auge. Bei vielen anderen Orten ist das nicht so offensichtlich. Griesheim ist dafür ein gutes Beispiel. Wenn man nicht genau hinschaut, fallen die beiden Ökotopen nicht auf. Aber sie sind vorhanden:
Im Westen liegt das Neckarschwemmland. Es ist geprägt durch große Feuchtigkeit und schwere Böden, aber auch durch eine hohe Fruchtbarkeit. Im Osten liegt dagegen das Sanddünenland, das sich durch Trockenheit und sandige Böden auszeichnet, die nicht besonders fruchtbar sind. Diese Lage muss vor vielen Jahrhunderten sehr interessant gewesen sein: Auf dem trockenen Sand im Osten konnte man optimal Häuser bauen, während die fruchtbaren Böden im Westen eine reiche Ernte erlaubten. Auf den Wiesen auf dem Sandboden konnte Vieh geweidet werden, während das Wasser aus der westlichen Gemarkung geholt werden konnte.

Die Grenze zwischen beiden Ökotopen liegt etwas westlich neben dem Verlauf der Pfützenstraße und der Oberndorferstraße. Entlang dieser Linie sind zahlreiche Fundstätten von vorgeschichtlichen und antiken Siedlungen gefunden worden. Und auch der wahrscheinlich älteste Bereich des heutigen Griesheims, die Lutherkirche, liegt dort.
Durch die rasante technische Entwicklung und die Überformung der Landschaft durch den Menschen ist die Grenze heute kaum mehr zu sehen. Es gibt aber immer noch die Möglichkeit, die beiden Ökotope zu besuchen, wie Sie hier lesen können.
In der aktuellen Entwicklung im Bereich der Archäologie spielt die Betrachtung der wirtschaftlichen Zusammenhänge einer Siedlung und ihrer natürlichen Umgebung eine zunehmend wichtige Rolle. Über die eigentlichen Funde hinaus geben Überlegungen zu Versorgung mit Rohstoffen etc. wichtige Hinweis zum Verständnis der Lebensweise in früheren Zeiten. Dazu gehört natürlcih auch die Erkenntnis, dass natürlich trotz sorgfältiger Ortsauswahl eine Siedlung niemals über alle Rohstoffe verfügen konnte. Dies wurde dann durch Handel ausgeglichen. Durch den Handel fand auch ein Informationsaustausch statt und die Menschheit entwickelte sich so stetig weiter (zum Glück).

Übrigens spielt die Ökotopengrenzlage bei der Wahl unserer heutigen Wohnung immer noch eine Rolle, auch wenn dies leider wenig mit Rücksicht auf natürliche Gegebenheiten zu tun hat: So suchen wir zum Beispiel die Nähe von Städten, die Arbeitsplätze, Infrastruktur und Kultur bieten, wollen aber gleichzeitig im Umfeld unserer Wohnung Ruhe, Sicherheit und Übersichtlichkeit. Meist entscheidet auch der Geldbeutel mit, inwieweit wir in der Stadt, oder auf dem Land wohnen. Griesheim ist dafür ein gutes Beispiel, da es sozusagen zwischen beiden Bereichen, Stadt und Land, liegt.
Das weitreichende Ignorieren der natürlichen Gegebenheiten werden wir aber nicht ewig weiterführen können. Irgendwann wird die notwendige Energie, die diese Lebensweise erlaubt, in nur noch begrenzterem Maß zur Verfügung stehen. Oder die Landschaft, die wir wenig nachhaltig benutzen, wird uns auf drastische Art und Weise zeigen, dass wir letztendlich der Natur doch nur ausgeliefert sind. So wird irgendwann der Rhein über seine Ufer treten, so wie er das vor etwa 130 Jahren schon einmal getan hat, und uns deutlich zeigen, wo man siedeln sollte, und wo man das besser gelassen hätte…
Aber keine Angst, Griesheim ist wahrscheinlich nicht vom Rhein bedroht. Trotzdem kann man ja schon mal mit einigen kleinen Schritten anfangen, etwas mehr Nachhaltigkeit zu erreichen. Ich zum Beipiel finde, dass man nicht unbedingt Bier aus Friesland oder Handkäse aus Nordrhein-Westfalen benötigt – beides steht in ausreichender Menge und besserer Qualität in Groß-Gerau zur Verfügung. Überlegen Sie einmal, wieviele Transportkilometer so gespart werden können!
4 Gedanken zu „Ökotopengrenzlage“