Griesheim ist nicht flach. Griesheim ist geneigt. Immerhin beträgt der Höhenunterschied von der östlichen bis zur westlichen Stadtgrenze nahezu 24 Meter. Entlang der B26 ergibt sich also ein Gefälle von immerhin 0,5%. Und nur dort verläuft das Gefälle gleichmäßig, denn nördlich und südlich der Hauptstraße finden oder fanden sich einige Dünen, die sich nochmal auffällig über die direkte Umgebung erhoben. Die drei markantesten Dünen hatten im Laufe der Zeit sogar eigene Namen erhalten: der Kirschberg, der Hegelsberg und der Chimborazo. Keiner davon existiert heute noch.
Der Kirschberg befand sich an der Kreuzung der Wilhelm-Leuschner-Straße mit der Jahnstraße. Er wurde durch die Anlage der Straße im 19. Jahrhundert zunächst in zwei Teile zerschnitten, und dann größtenteils abgetragen. Reste finden sich noch östlich der Gerhart-Hauptmann-Schule und unter dem Waldschlösschen.
Der Hegelsberg lag südlich der Sterngasse. An seiner Stelle sind die Hegelsberghalle, die Schillerschule, einige Sportplätze und der Festplatz angelegt worden. Wenn man genau hinschaut, erinnern noch einige Höhenversprünge an die ehemalige Düne. Ansonsten ist sie aber seit den 1960er Jahren verschwunden. Ursprünglich trug sie einen Turm, von dem aus der Schießplatz beobachtet werden konnte. Während der Schießübungen wurde ein roter Ballon an dem Turm befestigt, der vor den Gefahren warnte. Eine Fernsprechleitung verband den Turm mit dem östlichsten Punkt des Schießplatzes, so konnten die Vorgänge auf dem Platz koordiniert werden.
Kirschberg und Hegelsberg scheinen keine besonders ungewöhnlichen Namen zu sein, wobei die Endung „-berg“ vielleicht etwas übertrieben erscheint, überragten doch beide „Gipfel“ die Umgebung nur um wenige Meter.
Exotisch klingt dagegen der Chimborazo. Er befand sich im nordöstlichen Teil des Schießplatzes. Er war etwas höher als die beiden anderen genannten Dünen und erreichte so an seinem höchsten Punkt 121,9m ü.NN. Er überragte die Umgebung um etwa 10 Meter. Benannt wurde er Ende des 19. Jahrhunderts nach dem Berg Chimborazo in Ecuador.
Der „echte“ Chimborazo ist etwa 6200 Meter höher als die Griesheimer Düne. Auf dem Titelbild ist er zu sehen. Er ist der höchste Berg Ecuadors und er galt bis zur Vermessung des Himalajas im 19. Jahrhundert als der höchste Gipfel der Erde.
Das ist er übrigens in gewissem Sinn immer noch: Wenn man nicht den Abstand des Gipfels zur Meeresoberfläche, sondern den Abstand des Gipfels bis zum Erdmittelpunkt betrachtet, ist der Chimborazo deutlich höher als der Mount Everest. Das liegt daran, das die Erde im Bereich des Äquators aufgrund der Fliehkraft in Folge der Erdrotation einen höheren Durchmesser hat. Der Himalaja liegt soweit nördlich, dass seine Gipfel im Abstand zum Erdmittelpunkt schlechter abschneiden.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts ist mehrfach versucht worden, den Gipfel des Chimborazo zu besteigen. Die bekannteste Persönlichkeit darunter, nämlich der Naturforscher Alexander von Humboldt, scheiterte damit 1802. Auch der Franzose Jean Baptist Boussingault war 1831 nicht erfolgreich. Erst eine englisch-italienische Seilschaft, bestehend aus Edward Whymper und den Brüdern Jean-Antoine und Louis Carrel erreichte 1880 den Gipfel.
Der Name Chimborazo war daher früher ein Synonym für einen ziemlich hohen Berg. Vermutlich augenzwinkernd wurde daher die höchste Düne auf dem Griesheimer Schießplatz ebenso benannt. Auch wenn die Düne nicht von gigantischen Gletschern bedeckt war und sich innerhalb weniger Augenblicke erklettern ließ, fanden auch hier einige Abenteuer statt: August Euler nutzte den Chimborazo als Startrampe für seine Flugversuche.
Mitte der 1930er Jahre wurde die Düne allerdings abgebaggert. Sie musste Platz machen für die Autobahntrasse von Frankfurt nach Mannheim.
Das Titelbild stammt aus der Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Chimborazo
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