…waren eher nicht die beliebtesten Baustoffe im alten Griesheim. Das hatte logischerweise einen vernünftigen Grund. Und der hat in diesem Fall nichts mit Geschmacksfragen zu tun, sondern ganz einfach mit der Verfügbarkeit von Rohstoffen.
Dass Marmor sich in Griesheim bis heute nicht im Stadtbild durchgesetzt hat, liegt natürlich auch an der Verfügbarkeit dieses edlen Baustoffes. Marmor ist ein Gestein, dass nur an ganz wenigen Orten in Europa abgebaut werden kann. Die bekanntesten Steinbrüche liegen in Griechenland und in Italien, sodass in der Antike sowohl von den alten Griechen wie auch von den Römern der Baustoff gerne für öffentliche Gebäude wie Tempel verwendet wurde.
Die Römer brachten viele neue Techniken und kulturelle Errungenschaften bis in die entlegensten Ecken ihres Imperiums. Stoffe, Schmuck und sogar übel riechende Fischsaucen wurden überall hin transportiert. Den Marmor ließen die Römer aber lieber daheim.
Eine dieser entlegenen Ecken war das Gebiet des heutigen Griesheims. Es gehörte im 1. bis 3. Jahrhundert zum römischen Reich. Die Römer begannen mit der systematischen Besiedlung der Region. Wie alle Siedler im Hessischen Ried vor ihnen und nach ihnen mussten sie sich aber damit auseinandersetzen, dass das Gebiet nicht nur keine Marmorvorkommen bietet, sondern völlig steinlos ist. Dieses Problem wurde auf drei Arten gelöst:
Steinimport – Rings um das Ried sieht die Verfügbarkeit von Steinen schon wieder ganz anders aus. Im Odenwald, im Taunus und im rheinhessischen Hügelland waren unterschiedlichste Gesteine verfügbar. Diese wurden über Lastkarren und wahrscheinlich auch auf dem Wasserweg per Nachen transportiert. Edle Gesteine wurden als Werkstein verarbeitet zu Fenstergewänden, Türschwellen oder sogar zu Säulen und Kapitellen. Bruchstein dagegen fand seine Verwendung als Fundamentbaustoff oder auch für aufgehendes Mauerwerk, das verputzt wurde. Steinbauten waren damals natürlich recht teuer und waren im Ried etwas ganz besonderes und eher seltenes.
Ziegelsteine – Wenn man keine Steine hat, muss man sich welche backen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Aus Lehm, der im Ried natürlich reich vorhanden ist, konnten mit verschiedenen Techniken (dazu weiter unten mehr) Ziegelsteine hergestellt werden. Dies geschah damals zum Teil bereits industriell. Die Ziegel, die in den verschiedensten Formen als Mauerwerk verarbeitet oder zur Dachdeckung verwendet werden konnten, wurden in Ziegeleien in großen Mengen hergestellt. Jeder Ziegel bekam einen Herstellungsstempel, der heutigen Archäologen erlaubt, die Herkunft und auch die Entstehungszeit herauszufinden.
Holzbau – Um Gebäude zu errichten, braucht man nicht unbedingt Steine. Über Jahrtausende vor den Römern hatten die Menschen im Ried ihre Behausungen aus Holz errichtet. Natürlich beherrschten die Holzbautechnik auch die Römer. Neben Dachkonstruktionen wurden dabei auch Wände, Brücken und sogar Befestigungsanlagen in Form von Palisadenwänden errichtet. Um Holz zu sparen verwendeten die Römer auch schon die Fachwerkbauweise.
Die Steinarmut im Ried ist der Grund, warum wir von der römischen Epoche so gut wie gar nichts mehr sehen können. Die Steinbauten wurden über die Jahrhunderte von den nachfolgenden Siedlern abgebrochen und die Ruinen ausgeplündert. Die seltenen und damit wertvollen Steinen fanden fast allesamt eine neue Verwendung in anderen Häusern. Gerade weil das Ried so feucht ist, war die Errichtung von steinernen Fundamenten obligatorisch – zumindest wenn das Haus länger als ein paar Jahre halten sollte. In so manchem Fundament, vielleicht auch in Griesheim, werden deshalb römische Steine verbaut sein.
Ähnlich wird es den Ziegelbauten gegangen sein. Interessierten sei hier eine Fahrt auf der B44 von GG-Dornheim nach Groß-Gerau empfohlen. Diese führt ein ganzes Stück an der Fasaneriemauer entlang. Die Mauer wurde aus den Resten der Dornburg errichtet, die wiederum ihr Material aus den Resten des römischen Groß-Geraus bezog. Man kann in der Mauer deshalb eine Mischung aus diversen Gesteinen und auch Ziegelresten bewundern, die schon ziemlich viele Jahrhunderte alt sein werden.
Nach den Römern im Ried folgten einige dunkle Jahrhunderte (4.-8. Jahrhundert), über die man eigentlich sehr wenig weiß. Die Menschen werden damals nicht mehr die hochentwickelten Techniken des Steinbaus beherrscht haben. Einige Steine werden ihren Weg in Fundamente gefunden haben. Ansonsten herrschte aber einfacher Holzbau vor.
Erst die Zeit ab dem 8. Jahrhundert wird wieder besser greifbar. Aus dieser Zeit sind schriftliche Quellen erhalten und es gibt archäologische Spuren. In Griesheim wird es zur damaligen Zeit einen oder mehrere Höfe gegeben haben, von denen einer auch schon den Namen Griesheim getragen haben könnte. Ein reichhaltiges Gräberfeld wurde in den 1970er Jahren westlich der Reithalle freigelegt. Wie so ein Hof in Griesheim ausgesehen haben mag, kann man sich seit einigen Jahren im sehenswerten Freilichtlabor Lauresham in Lorsch anschauen.
Ebenfalls in Lorsch steht ein bedeutendes Baudenkmal, die sogenannte Königshalle. Sie markiert den Beginn einer bis heute durchlaufenden Tradition, erstmals nach den Römern Architektur mit Stein zu betreiben. Allerdings wurde die Halle von Fachleuten aus der Lombardei errichtet, weil die Fähigkeit zum Steinbau von den hiesigen Handwerkern erst wieder neu gelernt werden musste. Übrigens verwendete man in der Fassade auch Teile von römischen Bauten, die damals irgendwo noch vorhanden und ausgebeutet werden konnten.
Überhaupt muss es vor tausend Jahren in den alten römischen Städten wie Mainz oder Worms (anders als im Ried) noch zahlreiche aufrecht stehende Bauwerke aus der Römerzeit gegeben haben, auch wenn die Menschen deren frühere Funktion und Bautechnik nicht mehr verstanden. Ein schönen Hinweis darauf gibt uns der Frankenturm in Trier, der im 11. Jahrhundert errichtet wurde. Sein Mauerwerk imitiert das Aussehen römischen Wände, die sich durch einen Wechsel von Natursteinschichten mit horizontalen Ausgleichsschichten aus Ziegeln auszeichneten. Der Frankenturm kopierte diese Optik, ohne jedoch technisch die Ziegelschicht als Ausgleichsschicht zu nutzen. Dies zeigt, dass man es damals in Trier gewohnt war, dass Mauerwerkswände eben das beschriebene Aussehen hatten. Die technische Begründung war jedoch bereits in Vergessenheit geraten.
Kommen wir aber zurück nach Griesheim, dessen mittelalterliche Bewohner natürlich auch Gebäude errichteten. Da der Steinmangel auch im Mittelalter vorherrschte, waren die Bauten logischerweise wieder aus Holz. Leider ist kein einziges mittelalterliches Fachwerkhaus in der Stadt erhalten. Die heutige sichtbaren Fachwerkhäuser stammen aus dem 17.-19. Jahrhundert.
Es sind trotz Kriegszerstörung und Modernisierungen nach dem Zweiten Weltkrieg noch eine ganze Reihe Fachwerkhäuser in Griesheim erhalten. Die bekanntesten sind das Nikolosehaus, das Pfarrhaus und das älteste Fachwerkhaus der Stadt an der Ecke Groß-Gerauer-Straße / Kreuzgasse.
Leider werden in wenigen Jahren zwar nicht die oben genannten, aber doch zahlreiche andere aus dem nebenstehenden Plan verschwunden sein.
Neben dem Fachwerkbau gab es in Griesheim aber auch in bescheidenem Maße den Steinbau. Dieser war jedoch aufgrund der Kosten einigen wenigen Bauaufgaben vorbehalten. Die Pfarrkirche wird auch in ihrer mittelalterlichen Fassung ein Steinbau gewesen sein. Einige ihrer gotischen Fenster haben sich bis heute in der Lutherkirche erhalten. Auch das im Krieg leider zerstörte Rathaus der Stadt, dass eine ähnliche Optik wie das noch erhaltene Pfungstädter Rathaus hatte und das Backhaus waren aus Stein errichtet.
Über meine Spekulation, dass das Material des Backhauses aus einem Teil der Ortsbefestigung stammen könnte, habe ich hier geschrieben.
Der Bau mit Ziegeln, den schon die Römer beherrschten, wurde in Griesheim wohl aber erst in der Neuzeit wieder üblich. Aus dem 17. Jahrhundert hören wir von Ziegeleien in der Gegend, zum Beispiel am ehemaligen Landgraben gelegen.
Vorherrschend war lange Zeit die Herstellung der Ziegel mit der Feldbrandtechnik. Dabei wurden mitten auf dem Feld in ausreichendem Abstand zu Brennbarem große Meiler angelegt. Diese bestanden aus bis zu 100.000 aus Lehm geformten Ziegeln und Zwischenschichten aus Kohlen. Das ganze wurde in Brand gesetzt wobei Temperaturen bis 1.100°C erreicht wurden. Ein Feldbrand dauerte 2-3 Wochen. Ebenfalls 2-3 solcher Feldbrände ergaben Material für etwa 10 Häuser.
Charakteristisch für unsere Gegend waren die gelben Ziegelsteine, die ihre Herkunft aus den Lehmschichten am Rhein und am ehemaligen Neckarlauf durch die Farbe verrieten. Auch in Griesheim sind noch einige dieser Bauten erhalten.
Heutige Bauherren brauchen bei der Wahl ihrer Baustoffe auf regionale Verfügbarkeit leider keine Rücksicht zu nehmen. Marmor ist zwar immer noch kaum verfügbar. Dafür gibt es eine große Auswahl an natürlichen und künstlich hergestellten Gesteinen, die nach Griesheim teilweise aus größerer Entfernung gebracht werden. Und ohne Eisen, bzw. Stahl wird kein Haus mehr errichtet. Denn Beton, mit dem Decken und Fundamente konstruiert werden, benötigt eine Bewehrung aus Stahlbändern und Matten, um die erforderliche Zugfestigkeit zu erlangen.
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