Unschöner Anfang, aber große Chance für die Zukunft der Stadt
Griesheim ist Standort einer Universität. OK – nicht einer Ganzen. Aber zumindest eines kleinen Teiles der Technischen Universität Darmstadt. Diese betreibt nämlich neben den „eigentlichen“ und ziemlich großen Standorten in der Darmstädter Innenstadt und an der dortigen Lichtwiese noch einige kleinere Standorte. Da gibt es zum Beispiel den Bereich neben dem Botanischen Garten, aber auch einen zur Zeit noch kleinen Standort auf Griesheimer Stadtgebiet nördlich des ehemaligen Flugplatzes. Dieser Standort wird von der Uni „Windkanal“ genannt.
Neben einer schwierigen Geschichte liegen hier enorme Potenziale für die zukünftige Entwicklung von Griesheim.
Streng genommen befinden sich die Unigrundstücke erst seit 2006 auf Griesheimer Gebiet. Vor 10 Jahren nämlich gab es eine Grenzänderung zwischen den beiden Nachbarstädten Griesheim und Darmstadt. Griesheim trat dabei landwirtschaftlich genutzte Flächen östlich der Landstraße nach Eschollbrücken und Pfungstadt (Verlängerung der Oberndorferstraße) und südlich der Reithalle an den großen Nachbarn ab. Dafür erhielt es bebaute Grundstücke südlich des Südringes, im Bereich von St.-Stephan und auch im Bereich nördlich des Flughafens. (Auf Schwyzerdütsch hat Griesheim damals ein „Schnappli“ gemacht.)
So wurden nämlich auch die Unigebäude dort wieder „griesheimisch“. Wobei „wieder“ nicht für die Gebäude der Uni gilt, die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurden. Es gilt aber für das Gebäude des historischen Windkanales, der 1935 gebaut und 1936 eingeweiht wurde.
Damals gehörten nämlich alle heutigen Darmstädter Flächen westlich der Autobahn Frankfurt-Mannheim zur Gemeinde Griesheim, die sogar noch etwas weiter nach Osten reichte. Die Siedlung Tann war damals auch Teil von Griesheim, die Stadtgrenze lag etwas westlich des Waldfriedhofes. Erst 1937 wurden die Gebiete nach Darmstadt umgemeindet, da diese hauptsächlich militärisch genutzt wurden und mit den anderen militärischen Flächen der Stadt gemeinsam verwaltet werden sollten. Griesheim selbst entging angeblich dabei nur knapp dem Schicksal von Eberstadt und Arheilgen, die im gleichen Zuge vollständig eingemeindet wurden.
Warum der Bereich damals militärisch genutzt wurde muss ein anderes Mal erörtert werden. Wobei ich gleich vorraussagen kann, dass ich dieses Thema in diesem Blog noch lange vor mir herschieben werde, weil ich militärischen Anlagen, von mittelalterlichen und barocken Festungen einmal abgesehen, eher negativ gegenüber stehe.
Die militärischen Anlagen im Südosten Griesheims wurden auch seit Beginn des 20. Jahrhunderts für die Entwicklung einer damals neuen Technik genutzt: der Fliegerei. Flugpioniere wie August Euler experimentierten hier. Es gab sogar Griesheimer Firmen, die damals Flugzeuge bauten. Auch dies muss aber ein anderes Mal erörtert werden.
Festgestellt werden muss allerdings, dass die Entwicklung von neuen Techniken oft eine unselige Vebindung mit militärischen Strukturen eingeht. Leider ist der Mensch so gestrickt, dass er Neues nicht nur einsetzt, um die Menschheit weiter zu entwickeln und die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Er nutzt neue Möglichkeiten leider gerne ersteinmal, um effektivere Möglichkeiten herauszufinden, wie man sich gegenseitig abschlachten kann.
Am Baujahr (1934) des Griesheimer Windkanales kann man schon erkennen, dass hier nicht nur zum Wohle der Menschheit geforscht wurde. Auch der Bauplatz verrät dies. Der Bauherr, die damalige Technische Hochschule Darmstadt (THD), aus der viel später die Technische Universität Darmstadt (TUD) wurde, baute den Windkanal fernab der sonstigen Schulstandorte nordöstlich des Darmstädter Schlosses. Dies hatte natürlich auch praktische Gründe. Der heutige August-Euler-Flugplatz war ab 1934 Verkehrflughafen der Stadt Darmstadt, nachdem der Flugplatz auf der heutigen Lichtwiese stillgelegt wurde. Hier gab es also eine sinnvolle örtliche Verbindung zwischen Forschung und echtem Flugbetrieb.
Gleichzeitig war das Gebiet aber größtenteils militärisch genutzt. 1933 übernahmen bekanntlicherweise die Nazis die Macht im Land. Sofort begann man, militärisch aufzurüsten. Griesheim und Darmstadt waren hier keine Ausnahme. Auch hier wurde der Zweite Weltkrieg vorbereitet. Die Forscher der Hochschule und der hier ebenfalls angesiedelten „Deutschen Forschungsanstalt für Segelflug“ (DFS) entwickelten neben kunstflugtauglichen Segelfliegern auch Lastensegler für die Luftwaffe und eine Vorstufe für das Raketenflugzeug Messerschmitt Me 163.
Der Windkanal zur Erprobung des Strömungsverhaltens von Flugzeugmodellen ist bis heute erhalten. Im Gegensatz zu den meisten damals errichteten Windkanälen wurde er nicht nach dem Krieg durch die Siegermächte zerstört. Dies könnte an seiner ungewöhnlichen Bauart gelegen haben. Während ähnliche Bauwerke meist horizontal angelegt wurden, wurde die Technik hier vertikal angeordnet. Das Gebäude erhielt deshalb seine schmale, aber ziemlich hohe Gestalt. Zum Ende des Krieges war außerdem offensichtlich noch Zeit, die Technik auszubauen und einzulagern. Die Amerikaner erkannten daher die Funktion des Gebäudes zunächst nicht. Bis 1954 nutzen es die amerikanischen Streitkräfte als Kasino.
Erst danach wurde es an die TH Darmstadt zurückgegeben, die es wieder seiner ursprünglichen Nutzung zuführte. 1974 und 1981 fanden Modernisierungen der Technik statt, die aber das Äußere des Gebäudes ziemlich unangetastet ließen. So ist bis heute an der Ostfassade der Reichsadler als „Fassadenschmuck“ erhalten geblieben, das zu seinen Füßen ehemals vorhandene Hakenkreuz wurde abgeschlagen.
Der heutige Standort „Windkanal“ der TU Darmstadt umfasst neun Gebäude. Sie werden von den Fachgebieten „Strömungslehre und Aeordynamik“, „Flugsysteme und Reglungstechnik“, „Gasturbinen, Luft- und Raumfahrtantriebe“ sowie „Konstruktiver Leichtbau und Bauweisen“ genutzt, deren Hauptsitze jeweils in Darmstadt liegen. Die Anzahl der Studierenden in Griesheim ist daher zur Zeit eher übersichtlich.
In Zukunft wird sich dies ändern!
2016 hat die TU Darmstadt begonnen, Waldflächen südlich der Lilienthalstraße zu roden. Hier entstehen unterirdische Versuchsanlagen für die Stromübertragung. Es wird untersucht werden, wie Alternativen zu den landschaftsverändernden Hochspannungsleitungen unsichtbar unter der Erde erstellt werden können.
Dies stellt vielleicht aber nur den Beginn eines Prozesses dar, an dessen Ende mehrere Unigebäude und Forschungshallen, vielleicht sogar studentisches Wohnen entstehen könnten. Die Uni, die hierüber mit der Stadt im Gespräch ist, stellte im September Planungen öffentlich vor.
Das Darmstädter Echo berichtete hier über diese Pläne.
Zur Zeit ist hier natürlich noch einiges offen. Am Ende könnte aber ein „Campus Griesheim“, wie ihn Bürgermeisterin Winter bezeichnete, entstehen. In der „Universitätsstadt Griesheim“(Zitat von Martin Tichy von den Grünen (das Zitat habe ich für die Überschrift geklaut…)) könnten in 10 Jahren etwa 800-1200 Studierende und Mitarbeiter der Technischen Universität ihr wissenschaftliches Zuhause finden.
Dies ist eine große Chance für Griesheim. Aus den Griesheimer Forschungseinrichtungen ergäben sich nicht nur Zugewinne für die Stadt in Form von jungen Menschen und studentischer Infrastruktur. Vielmehr wachsen aus der Forschung natürlich junge Startup-Unternehmen hervor, denen man in Griesheim eine Chance geben könnte. Durch die früh entstehenden Netzwerke sind diese Unternehmen regional eher gebunden und würden am Standort wachsen. Neben dem Anwerben von vorhandenen Unternehmen könnte man hier auf „Eigengewächse“ setzen, die auch in Form von Gewerbesteuern einiges an die Stadt zurückgeben werden.
Übrigens veranstaltet die TU Darmstadt im Tower des August-Euler-Flugplatzes eine Vortragsreihe. Unter dem Titel „Talk im Tower“ wird über Geschichte und Forschung berichtet. Der erste Vortrag findet am 21.10.2016 statt. Infos finden Sie hier.
Guten Tag Herr Jünger,
haben Sie einmal eine Führung zum Windkanal/durch die Gebäude besucht?
Dass der Windkanal vertikal und nicht horizontal angelegt wurde, hat einen Grund:
Der Windkanal wurde ursprünglich für die DA-Innenstadt(-Uni) geplant – in der bekanntlich damals schon wenig Platz war. Gebaut wurde er dann aber in Griesheim (Gründe: ich denke die von ihnen oben beschriebenen sind zutreffend und nachvollziehbar).
So die Aussage auf der Führung die ich vor einiger Zeit einmal besucht habe.
Zu Ihrer Information – Mit freundlichen Grüßen
Martin Tichy
Hallo, leider ist auch dieser Kommentar im Papierkorb gelandet, pardon.
Im Windkanal war ich leider noch nicht. Das muss aber eines Tages nachgeholt werden.