
Zu einer mittelalterlichen Stadt gehören neben den Stadtrechten ein Marktplatz und Befestigungsanlagen. Wenn die Überlegungen stimmen, dass Griesheim eine gescheiterte Stadtgründung des Mittelalters nach dem Vorbild der Stadt Reinheim ist, dann müssten doch von einem dieser Elemente Spuren zu finden sein.
Fangen wir mit der Stadtmauer an.

Und schauen wir uns nocheinmal den Stadtplan von Griesheim an, wie er um 1300 ausgesehen haben könnte. Dem Beispiel der Stadt Reinheim folgend könnte Griesheim von einer nahezu quadratischen Befestigung umgeben gewesen sein. In Reinheim bestand diese aus einer Mauer, ebenfalls gemauerten Ecktürmen und -toren und einem Graben.
Aber musste es immer eine Mauer sein? Dazu schauen wir uns in der Gegend um Griesheim um, das ja im Gegensatz zu Reinheim, das im „steinreichen“ Odenwald zu finden ist, ja im „steinarmen“ Ried liegt. Oder zumindest an dessen Rand. Im Ried gibt es zwei Städte, die schon im Mittelalter bestanden haben: Groß-Gerau und Gernsheim. Beide hatten keine Stadtmauer. Es gab zwar steinerne Stadttore, aber ansonsten gab es bei beiden Städten nur einen aufgeschütteten Wall und einen mit Wasser gefüllten Graben. Gleiches gilt auch für Trebur, von dem zwar keine Stadtrechte überliefert sind, das aber aufgrund seiner Größe und Struktur im Mittelalter eine Stadt gewesen sein könnte.
Grund für den Verzicht auf eine Mauer ist bei allen drei Beispielen natürlich der Mangel an Steinen. Im feuchten Ried konnte als Ersatz aber recht leicht ein Wassergraben erstellt werden. Und aufgrund des Waldreichtumes kann man sich auf dem Wall jeweils noch eine Holzpalisade vorstellen.
In Griesheim ist das etwas schwerer. Oben habe ich geschrieben, Griesheim läge im Ried. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Griesheim liegt ja in Wirklichkeit in zwei Landschaften: Dem Ried und dem Dünenland. Genau auf der Landschaftsgrenze lag der mittelalterliche Kern des Ortes.

Wir blenden dazu in den Stadtplan von oben eine Höhenlinie ein, und zwar die 91m Linie. Mit dieser muss es etwas Besonderes auf sich haben, denn sie markierte früher die Grenze zwischen Trocken und Nass. Bei jedem Starkregen wurden die Teile von Griesheim, die unter der Grenze lagen, überflutet. Interessanterweise lagen die am schlimmsten betroffenen Bereiche genau nördlich und südlich der angenommenen Stadtbefestigung. Die 91m-Linie zeigt hier jeweils einen Versprung nach Osten. Vielleicht ist dieser natürlich entstanden. Vielleicht gab es hier aber auch künstlich angelegte Gräben? Zumindest kann man sich aufgrund des früher relativ hoch anstehenden Grundwassers vorstellen, dass die Westseite, die Nord- und die Ostseite des Ortes leicht mit einem Wassergraben zu versehen waren.
Auf der Ostseite war dies aber nicht möglich, hier liegt der Boden schon die entscheidenen Zentimeter zu hoch. Hier müsste man sich also anders beholfen haben.

Ein Blick in den Ortsgrundriss aus der Vorkriegszeit kann hier etwas helfen: Die Löffelgasse verläuft parallel zu dem angenommenen östlichen Stadtrand, der sich aus der Analogie des Reinheimer Stadtplanes ergibt. Man kann sich gut vorstellen, dass die ziemlich gerade Gasse nach der Aufgabe der Ortsbefestigung deren Flächen eingenommen hat. Interessant wird die Betrachtung der Gebäude an der Ecke der Löffelgasse zur Backesgasse. Hier stand bis 1911 ein merkwürdiges Gemäuer. Ein achteckiges Bauwerk mit nach innen geneigten Wänden. Es handelte sich um das alte Griesheimer Backhaus.
Ein Backhaus wird 1454 zum ersten Mal in Griesheim erwähnt. Es diente der Herstellung von Brot und anderen Backwaren. Aufgrund der Brandgefahr und der Investitionskosten für so ein Bauwerk besaßen die meisten Orte Gemeinschaftsbackhäuser. Schauen Sie sich die Stadtpläne der Nachbarorte an: Auch in Leeheim und in Bauschheim und in vielen weiteren Orten werden Sie Backesgassen oder Backhausgassen finden.

Das Aussehen und die Konstruktion von Backhäusern kann recht unterschiedlich sein. Die Wahl von Steinen als Baustoff bot sich logischerweise an. In steinarmen Gegenden gab es aber auch solche Gebäude, die in Teilen aus Holz konstruiert waren, also zum Beispiel das Dach und die Außenwände. Nur der Ofen selbst war dabei aus Stein. Das Griesheimer Backhaus war aber vollständig aus Stein konstruiert. Es hatte auch eine relativ große Höhe. Wieso wurde hier, wo Steine relativ kostbar waren, für ein solches Gebäude fast hemmungslos Steine verschwendet, wenn es Möglichkeiten gab, den Baustoff einzusparen?
Ich schlage hier einfach einmal folgende Theorie vor: Das Backhaus könnte sein Material aus einer niedergelegten (Stadt)mauer bekommen haben. Die Lage des Gebäudes liegt genau dort, wo die Ortsbefestigung eben nicht aus einem Wassergraben bestanden haben konnte. Wenn es eine Mauer gab, könnte diese in Gemeindeeigentum gewesen sein. In dem Moment, wo man die Mauer nicht mehr benötigte, könnte das Material in Teilen in Gemeindeeigentum verblieben sein. Und man verwendete es für ein öffentliches Bauvorhaben, nämlich das Backhaus. Ich denke aber, nur das Material ist hier wiederverwendet worden. Das Gebäude selbst war sicherlich kein alter Turm, dagegen spricht die Form (achteckig) und die geneigten Wände.
Leider ist das Backhaus ja nicht mehr vorhanden. Obwohl Zeitgenossen den Verlust beklagten, wurde es ohne Untersuchung beseitigt.
Um sich eine Vorstellung zu verschaffen, wie es ausgesehen haben könnte muss man aber nicht weit fahren. In Dexheim, das liegt ein paar Kilometer westlich von Oppenheim, steht noch ein Exemplar, das dem Griesheimer Backhaus ziemlich ähnlich sieht. Vor einigen Jahren wurde es saniert und weiß verputzt. Davor zeigte es an manchen Stellen sein Bruchsteinmauerwerk.

Wie fast alle rheinhessischen Orte hatte auch Dexheim eine Stadtmauer. Das Backhaus steht genau an der Stelle, an der sich eines der Stadttore befunden haben muss. Für das Dexheimer Backhaus könnte also wirklich die irgendwann nicht mehr benötigten Ortsbefestigung als Materialspender gedient haben. Warum nicht auch in Griesheim?
Weitere (ebenso wacklige) Theorien zur Griesheimer Altstadt werden demnächst folgen…
Dieser Artikel ist Teil einer Reihe von Artikeln über die mögliche gescheiterte mittelalterliche Stadtgründung von Griesheim, die möglichen Gründer (Grafen von Katzenelnbogen) und die Frage, wie diese die Macht in Griesheim übernommen haben. Zu der Artikelreihe gehören:
- Die Burg vom Burghof
- Die Herren von Wolfskehlen und die Grafen von Katzenelnbogen
- Die Herren von Dornberg
- Was ist ein Dalles / Infos über Dornberg
- Die Grafen von Katzenelnbogen werden Ortsherren von Griesheim
- 10 Dinge, die Sie schon immer über die Grafen von Katzenelnbogen wissen wollten
- War Griesheim eine mittelalterliche Stadtgründung?
- Die Griesheimer Stadtmauer (?)
- Wo waren die Griesheimer Stadttore?
- Die Stadtgründung von Ober-Ramstadt
- Die Stadtrechte von Darmstadt
- Woher kommt der Name Pfützenstraße
181 Gedanken zu „Die Griesheimer Stadtmauer und das Backhaus“