Ohne es zu ahnen. Zur Geschichte und Lage der Wilhelm-Leuschner-Straße
Am letzten Wochenende haben die Griesheimer den Zwiebelmarkt gefeiert, natürlich auch auf der Wilhelm-Leuschner-Straße bzw. der „Chaussee“ oder einfach „Hauptstroß“, wie die kilomterlange Magistrale auch genannt wird. Bei solchen Festen zeigt sie sich dabei als verbindendes Element, als Stadtmitte. Dabei sorgt sie aber auch für eine Trennung Griesheims in Nord und Süd. Ein Blick in den Müllkalender macht dies dabei weniger deutlich, als das unnachahmliche Gefühl, wenn man an einer der Ampeln steht und erst nach Minuten des sinnlosen Wartens den anderen Teil der Stadt betreten darf.
Aber wieso verläuft die Chausse so schnurgerade mitten durch Griesheim? Wer hat das festgelegt?
Die Geschichte der Straße beginnt am 19. Mai 1715. In diesem Jahr brannte am Darmstädter Schloß der sogenannte Kanzleibau ab. Er lag zwischen dem ältesten Teil des Schlosses, der sich um den ehemaligen Burghof konzentrierte und dem Darmstädter Marktplatz. Statt einen Wiederaufbau anzugehen, entwickelte der Landgraf eine vollkommen überzogene Idee. Das gesamte Schloß, also auch der stehengebliebene Teil, sollte abgebrochen und durch einen gigantischen Neubau ersetzt werden.
Beauftragt mit der Planung wurde der Architekt Louis Remy de la Fosse. De la Fosse war Franzose, stand aber in Diensten des Hofes von Hessen-Kassel. Als Architekt folgte er natürlich dem Willen des Auftraggebers und legte einen Plan für einen völligen Neubau vor. Allerdings war er so clever, das Gebäude so zu planen, dass es in mehreren Bauabschnitten erstellt werden konnte.
Der erste Bauabschnitt sah dabei einen breiten Bau zum Marktplatz hin vor, der im Westen „um die Ecke“ geführt wurde. Dieser Teil konnte gebaut werden, ohne das alte Schloss zuvor abbrechen zu müssen. Dies erwies sich tatsächlich als gute Idee: Nach der Vollendung des ersten Bauteils 1730 ging dem Landgrafen erwartungsgemäß das Geld aus. Das Schloß fand damit im Großen und Ganzen im Prinzip seine heute noch erhaltene Form, auch wenn im Detail noch viele Änderungen vorgenommen wurden.
Was hat das nun mit der Chaussee in Griesheim zu tun?
Dazu müssen wir uns von der großen Marktfassade abwenden und nach Westen gehen. Hier hat das Schloss nämlich damals eine zweite Hauptfassade erhalten. Mit dem Schlossbau wurde gleichzeitig auch die Stadt Darmstadt erweitert: Befand sich die bürgerliche Bebauung bis dahin nur östlich und südlich des Schlosses, wurde jetzt nach Westen erweitert: Eine schnurgerade barocke Prachtstraße wurde neu angelegt, die genau auf die Mitte des Schlosses zulief. Die Straße lag zudem genau im rechten Winkel zum Westflügel des Schlosses, ihre Lage wäre also bei einer anderen Architektur des Schlosses vermutlich auch eine andere gewesen.
Heute heißt die Prachtstraße in Darmstadt Rheinstraße. Allerdings führte sie zunächst nicht besonders weit nach Westen und schon gar nicht bis an den namensgebenden Fluss. Sie endete schon am heutigen Luisenplatz, wo ein Stadttor angelegt wurde. Erst nach und nach wurde die Trasse immer weiter nach Westen verlängert.
Zunächst diente diese aber nur den Spaziergängern aus Darmstadt, die in den Wald gehen wollten, als Promenade. Außerhalb des Stadttores hieß die Straße Breite Allee, der Name Rheinstraße war nur im bebauten Bereich vergeben.
Erst 1837 wurde die Straße dann bis nach Griesheim verlängert. Bis zur heutigen Kreuzung mit der Schöneweibergasse konnte dabei die schnurgerade Trasse, die vom Schloss in Darmstadt vorgegeben wurde, durchgezogen werden. Man nahm damals auch in Kauf, eine Düne, den Kirschberg, teilweise abgraben zu müssen, um die Straße trassieren zu können. Eine leichte Kurve sorgte für eine Einleitung in die schon seit Jahrhunderten zuvor vorhandene Griesheimer Hintergasse.
Diese war allerdings nie als Durchgangsstraße geplant, Griesheim hatte früher ja andere Verbindungen nach Darmstadt. Die Hintergasse hatte eine Breite von wenigen Metern. Mit dem Widerspruch, eine Überlandverbindung in eine mittelalterliche Ortsstruktur einzubrechen, muss Griesheim bis heute leben. Straßenverbreiterungen in den 1930er Jahren und nach dem zweiten Weltkrieg haben ein Stückwerk hinterlassen, dass städtebaulich bis heute nicht gelöst ist. Erschwert wird das ganze dadurch, dass auch die Überlandstraße von Westen in die Schulgasse eingeleitet wurde, die ebenfalls nicht dafür ausgelegt war. Schulgasse und Hintergasse mündeten ursprünglich versetzt in die Pfützenstraße ein – keine idealen Vorraussetzungen, die heutige Bundesstraße in den Stadtraum zu integrieren.
Wie man die Situation beispielsweise aber in den Griff bekommen könnte, das können Sie hier sehen.
Und wie das Zerstörungswerk am Griesheimer Ortskern vollendet werden könnte, wenn man weiterhin nur auf den Verkehr schielt, das sehen Sie hier. Übrigens gibt es Parteien und einen Bürgermeisterkandidaten, die das gut fänden.
Sehr spannend, aber rein theoretischer Natur ist die Frage, wie Griesheim wohl aussähe, wenn Louis Remy de la Fosse den Schlossbau um 1° gedreht anders platziert hätte…
Und sehr spannend auch der Gedanke, dass die Hauptstraße der ehemals politisch eher links geprägten Stadt Griesheim eine barocke Prachtstraße eines absolutistischen Fürsten ist. Man merkt es aber nicht mehr…
79 Gedanken zu „Als Louis D. die Teilung Griesheims in Nord und Süd beschloss“