Dass Schausteller und Markthändler meistens nicht an einem Platz bleiben sondern von Ort zu Ort ziehen ist klar. Aber dass auch die Marktplätze selbst nicht für immer sesshaft sind sondern ebenfalls gerne wandern, das wollen wir uns am Beispiel von Griesheim einmal anschauen.
Über den alten Marktplatz von Griesheim haben ich im letzten Artikel berichtet. Er lag in der Oberndorferstraße und zog sich von der Schaafgasse bis in die Pfützenstraße hinein. Genau genommen war er auch gar kein Platz im Wortsinne. Man verwendete lediglich ein Stück der vorhandenen Straße. Damals gab es offensichtlich nicht so viel Verkehr, denn ansonsten hätte es in der recht engen Straße Probleme gegeben. Es war aber auch so, dass dort eher keine Wochenmärkte im heutigen Sinne stattfanden. Griesheim war ja stark landwirtschaftlich geprägt, sodass Lebensmittel (sogar ziemlich regional und auch ziemlich bio) meist ja im eigenen Haushalt produziert wurden oder in einem der Geschäfte verfügbar waren. Eher haben auf dem alten Marktplatz Jahrmärkte stattgefunden. In Zeiten, in denen man nicht so mobil war, war es schon aufwendig, in die umliegenden Städte wie Groß-Gerau oder Darmstadt zu gelangen, wo ein umfangreiches Warenangebot vorhanden war. Jahrmärkte boten daher Produkte wie Kleidung, Werkzeuge, Reinigungsmittel und so weiter vor Ort an.
Falls Sie einen echten Jahrmarkt noch einmal erleben wollen (bevor es auch diesen in der jetzigen Form nicht mehr geben wird), dann sei Ihnen der Besuch der Stadt Ortenberg in der östlichen Wetterau angeraten. Jedes Jahr Ende Oktober findet dort der „Kaale Määrt“ (Kalter Markt) statt. Alle Straßen der kleinen Stadt sind dann voller Stände. Neben den üblichen Belustigungen und Attraktionen findet sich dort aber immer noch eine riesige Anzahl von Händlern. Nehmen Sie sich nur nicht zu viel Geld mit. Wie schnell hat man aus Versehen eine Kuh oder einen Traktor gekauft und weiß dann zu Hause nicht wohin damit (Keller ist dann keine Lösung!).
Der alte Griesheimer Marktplatz wurde schon im 19. Jahrhundert benutzt und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ob hier auch noch früher Markt abgehalten wurde, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Griesheim hat erst im 19. Jahhundert des Status eines Marktfleckens erhalten. Diesen Status gibt es in Hessen heute nicht mehr, aber sehr wohl in Bayern. Neben Gemeinden und Städten führen dort zahlreiche mittelgroße Orte den Titel „Markt“ (als Beispiel: „Gemeinde Johannesberg“ – „Markt Eschau“ – „Stadt Obernburg am Main“).
In der Mitte des 20. Jahrhunderts hatte der alte Marktbereich seine Funktion allerdings verloren. Die Oberndorferstraße hatte immer mehr Verkehr aufzunehmen, die auf dem Markt angebotenen Waren waren in Griesheim im besser verfügbar oder mit Tram oder Auto in Darmstadt leichter erhältlich. Der Markt verlor also seine Funktion, außerdem lag der Bereich nun schon lange nicht mehr in der Ortsmitte. Durch das rasante Wachstum Griesheims war der alte Ortskern in eine Randlage geraten.
Das alte Rathaus war im Krieg zerstört worden und am damals östlichen Rand des Ortes wurde ein neues gebaut, das heute noch als Rathaus dient. Dies gab den Impuls zur Verlagerung des gesamten Zentrums von Griesheim. Waren früher die Geschäfte relativ verstreut im Ortsgebiet vorhanden mit einer gewissen Konzentration um den heutigen Platz Bar-le-Duc, so entstanden viele neue Geschäfte und Betriebe im Bereich westlich des neuen Rathauses. Dem wurde mit der Anlage eines neuen Marktplatzes an der Ecke Wilhelm-Leuschner-Straße / Friedrich-Ebert-Straße Rechnung getragen. Heute stellt sich diese Fläche vor allem als chaotischer Parkplatz dar, bei der man jeden Mittag beobachten kann, wie schwere Geländewagen um die wenigen Stellplätze an der Grundschule kämpfen. Die alte Funktion als Marktfläche zeigt sich aber noch bei genauem Hinsehen. Richtung Straßenbahn sind drei Betonringe angeordnet, die mit Blumen bepflanzt sind. Früher war mindestens der mittlere der drei ein Brunnen, der ein wenig Gemütlichkeit ausstrahlen sollte (zumindest so wie man sich das in den 70er Jahren so vorgestellt hat). Außerdem ist das Bürgerhaus (Georg-August-Zinn-Haus) auch zu diesem Platz mit einer Art Pergola ausgerichtet, die hier wohl zum Verweilen einladen sollte.
Mit dem Großprojekt der Innenstadtbebauung zwischen Hofmannstraße und Platz Bar-le-Duc verlor der zweite Marktplatz seine Funktion wieder. Neben der Aufweitung der Wilhelm-Leuschner-Straße, der Schaffung von zeitgemäßen Flächen für Geschäfte und Arztpraxen wurde ein völlig neuer städtischer Maßstab umgesetzt. Griesheim hat Ende der 1980er Jahre das umgesetzt, was man in der Städtebaugeschichte „Citybildung“ nennt. In anderen Städten hat dieser Prozess zwar oft schon 100 Jahre früher begonnen – aber lieber spät als nie. Mit der Geschäftszeile wurde eine Grundlage geschaffen, die dafür sorgt, dass die Griesheimer Innenstadt im Gegensatz zu einigen anderen vergleichbaren Städten noch einigermaßen gut funktioniert.
Im Zuge der damaligen Neubebauung wurde auch ein neuer Marktplatz geschaffen. Offiziell heißt er Hans-Karl-Platz. Die umliegenden Häuser haben allerdings die Adresse „Am Markt“. Und die Griesheimer nennen den Platz einfach wirklich „Marktplatz“. Man kann um Optik immer streiten. Aber man muss zugeben, dass dieser Marktplatz das tut, was so ein Marktplatz tun muss. Freitags findet dort ein Wochenmarkt statt, der ein recht ansehnliches Angebot hat (ich sage nur Käse! Und: Fisch!). Den ganzen Sommer über plätschert ein Brunnen, an dem dann auch die Kinder spielen, und ringsum laden Restaurants und Cafés zum Essen und Trinken ein. Hier liegen die beiden Bankhäuser (das ist immer ein Zeichen für: „Hier ist die Mitte“). Und die Straßenbahn hält direkt auf dem Platz, womit er auch eine wichtige Rolle im städtischen Verkehr spielt. Der Marktplatz liegt heute also wieder mitten im Ort.
Übrigens spielt der alte Marktplatz in der Oberndorferstraße aber einmal im Jahr dann doch noch eine Rolle. Während der Kerb steht hier nämlich immer noch der Kerwebaum. Die sonstigen Festivitäten haben sich längst woanders hin verlagert, hauptsächlich auf den Festplatz an der Hegelsberghalle, dem vierten Platz in Griesheim, der Marktfunktionen übernimmt.
Ich weiß nicht, ob es Absicht oder Zufall ist: Der Kerweumzug führt noch heute vom alten Markt zum aktuellen Festplatz. So wird symbolisch ein Bogen geschlagen zwischen der Geschichte und der Gegenwart.
Ein Gedanke zu „Die vier Griesheimer Marktplätze“