Wie die Lilien zur Lilie gekommen sind

Der Fußball hat viele Fans, er ist die mit Abstand beliebteste Sportart in unserem Land. Doch es gibt einige, die „König Fußball“ so gar nichts abgewinnen können, sie sehen in diesem Sport sogar das Gegenteil von Kultur.

Dabei stimmt das gar nicht. Nehmen wir doch einmal das Wappen vom SV Darmstadt 98, hinter dem nicht nur Stadt- und Regionalgeschichte, sondern sogar Religionsgeschichte stehen.

Vor einigen Jahren habe ich in Baden-Württemberg gearbeitet, aber in Darmstadt gewohnt. In dieser Zeit spielte die heutige Darmstädter Bundesligamannschaft noch in der Regionalliga und war über die Landesgrenzen kaum bekannt, zumindest nicht in meinem Kollegenkreis. In einem Gespräch erwähnte ich die Bezeichnung „Lilien“ für die Darmstädter Fußballmannschaft, was die ungläubige Rückfrage auslöste, ob mit „Lilien“ wirklich eine Herrenfußballmannschaft gemeint sei.

Wenn man ganz ehrlich ist, ist diese Frage tatsächlich berechtigt. Andere Mannschaften schmücken sich mit Symbolen der Stärke. Man findet Adler, Löwen, Stiere und auch Bullen. Eine Lilie passt irgendwie nicht in die Reihe. Wo kommt sie eigentlich her?

Schritt 1 – Vereinswappen

Natürlich bezieht sich der Name „Lilien“ auf das Vereinswappen. Es zeigt eine stilisierte weiße Lilie auf blauem Hintergrund. Eine Darstellung des Wappens und weitere Informationen über den SV Darmstadt 89 finden Sie hier. Die Lilie bezieht sich auf das Stadtwappen Darmstadts.

Schritt 2 – Stadtwappen

Das Stadtwappen Darmstadts ist zweigeteilt. Im oberen Bereich ist ein roter Löwe auf gelbem Grund zu sehen. Im unteren Bereich ist eine weiße Lilie auf blauem Grund zu sehen. Dieser Teil wurde ins Vereinswappen des SVD übernommen.

Der Löwe verweist auf die Gründer der Stadt Darmstadt, die Grafen von Katzenelnbogen. Die wichtigsten Informationen über dieses Grafengeschlecht, das auch eine wichtige Rolle in der Griesheimer Geschichte gespielt haben mag, finden Sie hier. Die Herkunft des merkwürdigen Namens habe ich hier möglicherweise erklärt. Ähnliche zweigeteilte Wappen finden sich auch in anderen katzenelnbogischen Städten wie Zwingenberg, Pfungstadt und St. Goar. Stets zeigt der obere Teil die Stadtherren an, der untere Teil dagegen ist individualisiert – er bezieht sich auf die Stadt.

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Das Darmstädter Stadtwappen in der Stadtkirche

Die älteste Darstellung des Darmstädter Wappens findet sich in der Darmstädter Stadtkirche. Im Gewölbe über der Turmhalle kann es noch heute bewundert werden. Vermutlich stammt es aus dem 15. Jahrhundert. Wieso als Symbol für die Stadt Darmstadt die Lilie ausgewählt wurde, hat wahrscheinlich auch etwas mit dieser Kirche zu tun.

Schritt 3 – Stadtkirche

Die Stadtkirche kann auf eine wesentlich kürzere Geschichte zurückblicken, als die meisten anderen historischen Kirchen. Sie wurde wohl erst nach der Anlage der Stadt ab 1330 errichtet und wird erst 1369 erwähnt. In dieser Zeit war sie aber nicht wie heute evangelisch – die Reformation hatte damals noch lange nicht stattgefunden – sie war eine katholische Pfarrkirche. Und wie alle katholischen Pfarrkirchen war sie einer bestimmten Heiligen oder einem bestimmten Heiligen geweiht. Im Falle der Stadtkirche war dies Maria, die Mutter Jesu´. Diese Weihung ist typisch für städtische Kirchen, Marienkirchen oder Liebfrauenkirchen finden sich häufig im Zentrum mittelalterlicher Stadtgründungen wie z.B. Lübeck.

Jeder Heilige hat ein oder mehrere Attribute oder Symbole. Bei Maria ist es unter anderem die Lilie.

Schritt 4 – Maria

Im Gegensatz zu anderen Symbolen ist die Lilie erst im Mittelalter mit Maria in Verbindung gebracht worden. Insbesondere die sogenannte Madonnen-Lilie als „Prototyp der Lilie überhaupt“ übte aufgrund ihrer reinweißen und feinen Blüte eine große Faszination auf die Menschen aus. Sie verbanden mit der Pflanze die Eigenschaft der Reinheit.

Gemäß der biblischen Überlieferung war Maria bei der Geburt ihres Sohnes Jesus Jungfrau. Die Vorstellung der „unbefleckten Empfängnis“ übte auf die Menschen des Mittelalters eine große Faszination aus. Im Gegensatz zum sündigen Menschen stand sie für das Gute und Reine. Die Verbindung zur Lilie überrascht daher nicht. Als zusätzliche Darstellung der Unschuld Mariens stellte man die Lilie stets ohne Stempel und Staubfäden (die Geschlechtsorgane der Pflanze) dar.

Schritt 5 – Susanna

Maria war aber nicht die erste Person in der Religionsgeschichte mit Verbindungen zur Lilie. Im Alten Testament berichtet das Buch Daniel über Susanna im Bade:

Nach Dan 13,1-64 EU lebte in Babylon ein reicher Mann namens Jojakim, der mit einer schönen und frommen Frau namens Susanna verheiratet war. In seinem Haus verkehrten auch zwei hoch angesehene alte Richter, die sich dabei in Susanna verliebten. In der Bibel heißt es: Da regte sich in ihnen die Begierde nach ihr. Ihre Gedanken gerieten auf Abwege und ihre Augen gingen in die Irre. (Dan 13,9 EU)

Sie lauerten der Frau heimlich im Garten auf, als diese ein Bad nehmen wollte. Sie bedrängten sie und wollten sie zwingen, mit ihnen zu schlafen. Sie drohten, sie ansonsten zu beschuldigen, Ehebruch mit einem jungen Mann begangen zu haben. Doch Susanna blieb standhaft, weigerte sich und schrie. Die beiden Ältesten riefen ebenfalls lautstark, ließen Susanna verhaften und erklärten, sie beim Ehebruch überrascht zu haben. Daraufhin hielten sie öffentlich über Susanna Gericht und verurteilten sie zum Tode.

Als das Urteil vollstreckt werden sollte, hatte Daniel eine Eingebung des Heiligen Geistes und stellte ein Verhör der beiden Zeugen an. Er fragte sie unabhängig voneinander, unter welchem Baum Susanna ihren Mann betrogen haben sollte. Während der eine angab, sie habe es unter einer Zeder getan, sagte der andere, es sei eine Eiche gewesen. Da erkannten auch die jüdischen Autoritäten und das zuhörende Volk die beiden Lügner, und Susanna kam frei. Die beiden falschen Zeugen aber wurden getötet.

Quelle: Wikipedia – Susanna im Bade

Zahlreiche bildende Künstler haben sich mit dieser Geschichte beschäftigt, hoffentlich mit reinen Gedanken. Susanna gilt religionsgeschichtlich als eine Vorläuferin Marias, was das Thema Reinheit angeht. Wie stark der Bezug von Susanna zur Lilie dabei gesehen wurde, wird deutlich, wenn man sich die Herkunft des Namens Susanna anschaut. Shushan ist hebräisch und bedeutet: Lilie.

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