Manchmal fangen neue Jahre gefühlt eher mies an. Tatsächlich katastrophal hat das neue Jahr 1883 für die meisten Bewohner des hessischen Riedes angefangen: ein großer Teil des Landes wurde vom Rhein überflutet.
Eines der schlimmsten Hochwasser in der Region ereignete sich im Winter 1882/83. Dabei hatte das Jahr 1882 zuerst gut begonnen: Der Winter war trocken und ohne Schneefall. Der Frühling verlief wettertechnisch so günstig, dass man eine gute Ernte im Sommer erwartete.
Der Sommer selbst war dann jedoch ziemlich regnerisch. Das Regenwasser konnte nicht mehr trocknen oder versickern und die Feldfrüchte verdarben. Ab dem Herbst begannen die tiefer gelegenen Äcker unter Wasser zu stehen. Die Wasserstände der Bäche und Flüsse stiegen an, ab November 1882 begannen sie, über die Ufer zu treten.
Auch der Rhein bedrohte seine Anwohner. Im November stand das Wasser dort bis an die Deiche, die teilweise ein ganzes Stück landeinwärts vom Flussufer entfernt angelegt worden waren. Die Deiche konnten dem Wasserdruck nicht lange genug standhalten.
Am 28. November 1882 brach der Damm bei Bodenheim. Dadurch wurde das Gebiet zwischen Mainz-Laubenheim, Bodenheim, Nackenheim und dem Rhein überschwemmt. Durch diese Entlastung sank der Pegel des Rheins merklich, und die rechtsrheinischen Orte im Hessischen Ried hofften darauf, verschont zu bleiben.
Leider stieg der Flusspegel aber in den folgenden Tagen wieder an. Die Bewohner von Leeheim und von vielen anderen Orten begannen, die Deiche zu erhöhen und zu sichern. Nicht nur der Landdeich wurde dabei bearbeitet, sondern auch der alte Ortsdamm von Leeheim, der direkt westlich des Ortes lag. Am Silvesterabend war das Hochwasser bereits bedrohlich hoch an der Deichkrone des Landdeiches angelangt.
Am Morgen des 1.1.1883 versammelten sich die Leeheimer in der Kirche zum Neujahrsgottesdienst. Das Eingangslied „Komm, heilger Geist“ war gerade bis zum Halleluja gesungen, als die Kirchentüren aufflogen und die Deichwachen der Gemeinde zuriefen, dass der Deich gebrochen war.
Der Deichbruch hatte sich südwestlich des Ortes ereignet. Für die wochenlange Belastung war der Deich nicht ausgelegt, er war so stark durchfeuchtet, dass er instabil geworden war. Das Wasser schoss ab 9.30 Uhr durch eine Höhle unter der Dammkrone hindurch. Nach und nach brach die Konstruktion in sich zusammen und eine 115 Meter lange Lücke entstand. Der Rhein strömte hindurch und bildete einen gewaltigen Strudel, der ein mehr als 20 Meter tiefes Loch ausgrub – eine gespenstische Vorstellung.
Das Loch wurde übrigens gibt bis heute nicht verfüllt. Es existiert immer noch, allerdings als friedlicher Tümpel. Er trägt passenderweise den Namen „Neujahrsloch“.
Bis zum Mittag hatte das Wasser den alten Ortsdamm erreicht. Dieser verlief allerdings nur in einem kurzen Abschnitt westlich des Ortes und konnte den gewaltigen Wassermassen nicht standhalten. Er wurde seitlich umspült.
Bis zum Abend stand fast ganz Leeheim unter Wasser. Nur ein kleiner Bereich östlich der Kirche, den man bei der Durchfahrt durch den Ort auch als leicht erhöht wahrnehmen kann, schaute aus den Wassermassen heraus. Die trockene Fläche reichte kaum aus, um die Anwohner und ihr Vieh aufzunehmen.
Am 2.1.1883 kamen der Großherzog von Hessen und sein Bruder nach Leeheim. Sie beorderten Militär in die von der Flut betroffenen Orte, das zusammen mit den örtlichen Feuerwehren Baracken und Pritschenwege errichtete. 170 obdachlose Leeheimer wurden in Griesheim aufgenommen und versorgt, 50 in Wolfskehlen. Bis zum Frühjahr erreichten zahlreiche Hilfslieferungen aus der Region, aber auch aus Amerika die überfluteten Orte.
Das Hochwasser erreichte am 4.1.1883 seinen Höchststand, am 10.1.1883 hatte es sich aus Leeheim zurückgezogen. Weite Teile des Kreises Groß-Gerau hatten zuvor unter Wasser gestanden, wie die folgende Karte zeigt.
Gut zu sehen ist in der Karte, dass die Flut damals auch fast bis an die westliche Stadtgrenze Griesheims gelangte. Rund um Wolfskehlen war das alte Neckarbett bereits deutlich angestiegen.
Die Fluthöhe lag damals in Leeheim und Wolfskehlen etwa bei 88,00m ü. NN. Die Bebauung des alten Ortskernes im Griesheimer Westen liegt etwa auf einer Höhe von 92,50m ü. NN, also 3,50m über dem damaligen Hochwasserpegel. Die Grundstücke im Neubaugebiet Südwest liegen noch bis zu einem Meter tiefer.
Hoffentlich sind die mittlerweile deutlich erhöhten Rheindeiche in der Lage, ähnliche Katastrophen heute zu verhindern.
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